Architektur, Ernährung, Wasser und Energie, Gesundheit, Ökologie, Ökonomie, Kommunikation, Bildung, Kunst, Spiritualität, Gemeinschaft, Verantwortung: Ganz schön viele Aspekte, die die 4-Linden-Bewohner in ihrem Alltag beachten wollen. Und nicht nur das, sie legen Wert darauf, kein in sich geschlossener Mikrokosmos zu sein. Sie suchen und finden immer wieder neue Möglichkeiten, das, was sie für ein friedliches und nachhaltiges Zusammenleben erarbeitet haben, an ihre Mitmenschen weiterzugeben. Denn eins wird spürbar, sobald man durch das rote Holztor tritt: Auf diesem Hof ist Besuch absolut willkommen.
Andreas Dilthey wohnt seit 40 Jahren am selben Ort. Trotzdem ist er schon viele Male umgezogen. Auf seinem Grundstück stehen schließlich viele Häuschen und Wagen, die er laut eigener Aussage alle schon einmal irgendwie bewohnt hat. Als er vor ein paar Jahren dann den Wunsch hatte, sich etwas aus dem Hoftrubel zurückzuziehen, hat er sich sein Areal hinter dem Seminarraum geschaffen, das eben zu diesem Bedürfnis passt. Hinten auf dem Grundstück steht nun sein neues Lehmhaus, nebenan Lagerraum, überdachter Außenbereich und Atelier, davor eine Freifläche und Blumenbeete. Wobei „neu“ hier relativ ist, denn der Architekt hat zu großen Teilen Baustoffe verwendet, die sonst auf dem Müll gelandet wären.
Bänke hat er etwa aus nicht mehr verwendeten Gerüsten gebaut, den alten Dachstuhl aus dem Haus seiner Eltern hat er zu Balken verarbeitet. Upcycling, Recycling, Foodsharing, ein ressourcensparsames Leben:
„Andreas macht das, was heute ein Trend ist, schon seit 40 Jahren“, sagt Gina Mues und schmunzelt dabei. Die 61-Jährige lebt ebenfalls seit 2019 auf dem Hof, genannt „4 Linden“. Und so sieht’s da auch aus. Irgendwie öko, irgendwie hippiemäßig, irgendwie anders als andere Höfe – die gelebte Utopie? Nee, eben nicht.
„Das ist nicht immer ein Vorteil, wenn die Leute diesen Bullerbü-Eindruck von uns haben“, sagt Andreas Dilthey. Der 65-Jährige hat als Student für kleines Geld das Grundstück gekauft. Als er damals die Tür des Landarbeiterhauses aufschloss, sei sie ihm samt Rahmen entgegengefallen. Heute, viele Lehmbauten später, kämen Besucher zu einer der Veranstaltungen auf 4 Linden, staunten, erfreuten sich an all dem Grün und dem Ideenreichtum und sagten so etwas wie „das ist ja ganz toll, was ihr hier macht“. Und dann verlassen sie das Kleinod und gehen zurück in die Welt, die sie als real und vor allem als einzig funktionierende ansehen.
Ausprobieren statt schwadronieren
Andreas Diltheys Intention ist jedoch eine andere. „Ich habe überlegt, wie ich etwas verändern kann. Wie wir ein ökologisches, nachhaltiges und enkeltaugliches Leben führen können.“ Ein Dreivierteljahr war er mal in der Politik vertreten. „Da habe ich gemerkt, dass mir die Entscheidungsprozesse zu lange dauern. Ich wollte alles direkt ausprobieren.“
Das macht er zusammen mit vielen anderen Menschen auf 4 Linden. 15 von ihnen leben dauerhaft dort, eine große Anzahl weiterer mietet sich in die Airbnb-Wagen ein, arbeitet einige Zeit auf dem Grundstück mit (sogenannte Wwoofer) oder kommt zu den Veranstaltungen. Wie viele Leute da im Jahr so ein und aus gehen? Andreas Dilthey kann es nicht sagen. „Tausend bestimmt.“
Ganz schön viel Arbeit und Kommunikation, die damit verbunden sind. Immer wieder hinterfragt sich die Hofgemeinschaft und definiert, welche Haltung sie einnehmen möchte. Und ob diese Überlegungen immer noch aktuell sind. Im Fokus steht für die Gemeinschaft momentan etwa, energieautark zu werden. Gina Mues spricht etwa von einer Photovoltaikanlage. Dafür braucht 4 Linden allerdings finanzielle Unterstützung. „Wir machen das ja nicht nur für uns, sondern öffnen die Tore und gucken, dass Leute vorbeikommen. Wir arbeiten für eine gesellschaftliche Veränderung.“ Und das erfordere neben einer ganzen Menge Kopfarbeit und Anstrengung eben auch Geld aus mehreren Ecken.
Dass das Wohlbefinden des Menschen zentral ist für die 4-Linden-Bewohner:innen, wird in ihrem Zusammenleben deutlich. Gerade haben sie etwa die Einweihung der hofeigenen Kapelle gefeiert. Die ist in ihrer Bauart einem runden Stalltypus nachempfunden, den Andreas Dilthey aus dem Kongo kennt.
Neue Projekte gibt es bereits: In Planung sind ein Glückshaus und ein Museum. „Was braucht es, um glücklich zu werden?“, ist eine Frage, die Andreas Dilthey in die Runde stellt. Schnell kommt das Gespräch auf Dr. Ha Vinh Tho, ehemals sozusagen Glücksminister von Bhutan. „Das ist der einzige Staat, der in der Verfassung stehen hat, dass Menschen ein Anrecht auf Glück haben“, sagt Gina Mues. „Das musst du dir aufschreiben!“, ergänzt sie und lacht. Für sie, die gerne Zeit mit Eseln verbringt, viel gereist ist und Akkordeon spielt, steht im Fokus, dass Menschen ihre Lust nicht verlieren. „Wenn ich hier Unkraut jäte, habe ich Lust dazu, weil mich dieser Ort inspiriert.“
Und wenn ein Kindergeburtstag stattfindet, so ist es Gina Mues wichtig, dass die Kinder mit etwas mehr Wissen wieder nach Hause gehen und den Eltern zum Beispiel von der Artemisiapflanze erzählen. „Wir haben eine Mitverantwortung für die Welt. Bei allem, was ich mache, muss ich daran glauben“, fasst Andreas Dilthey zusammen, was wohl auch seine Mitbewohner:innen empfinden.
Die wiederum verfolgen alle bestimmte Aufgaben und persönliche Neigungen. Da ist zum Beispiel Gesa Kiesow, die von den anderen für ihren grünen Daumen bewundert wird und sich viel um den Garten kümmert. Oder Kim Kerkhof, die die Airbnb-Vermietung organisiert und den Hof gerne bekocht und bebackt. Gina Mues hingegen liefert dafür lieber das Rohmaterial, sie stellt zum Beispiel Tee und Tinkturen her und hält die Fäden in Sachen Veranstaltungen zusammen. Einmal im Monat treffen sich alle gemeinsam zum Hoftag, an dem Aufgaben erledigt werden, die in der Gruppe besser zu bewältigen sind. Die Gemeinschaft wird dabei selbstverständlich auch gestärkt. Im Gespräch entwickelt sich spontan die Idee, den Hoftag doch alle zwei Wochen zu veranstalten. „Hoftag ist super“, findet Kim Kerkhof, in der kleinen Runde erhält sie Zustimmung.
Alles erlaubt
4 Linden ist ein bisschen wie eine Schatztruhe. Auf dem Hof gibt es eine Menge zu entdecken, zu lernen und noch mehr in Gesprächen mit den Bewohner:innen zu erfahren. Und wer gerade keine Lust auf Menschen hat, kann zum Beispiel bei den Eseln vorbeischauen. Alles akzeptiert. Freiraum, Achtsamkeit, Inspiration, und vor allem Lust bewahren, sind schließlich zentrale Lebensaspekte auf dem Hof. \
Von Svenja Stühmeier
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