In einer Zeit so überreich an Bildern, durch die das Internet statt bleierner Datenwüste ein attraktiver Ort der Fantasie und Weltwahrnehmung geworden ist, ist ein Innehalten im wischenden Konsum von Fotos verdienstvoll. Die Fotografie, im Wahrheitsanspruch längst untergraben, kommt trotz Manipulationen an der Realität nicht vorbei. Selbstbesoffen, nett, dokumentarisch, gaffersensationell, aber meist ausdrucksarm und ohne Dauer geht es im Mainstream-Bildgeplenkel zu. Wie wird es ohne Vervielfältigungsmacht mehr, ausdrucksintensiv, zeitlos, Ikone, Kunst? Es kommt noch immer auf den Ausschnitt und den Blickwinkel Einzelner an, auf Gespür, auf geschaffenes Vertrauen und dann die Schulung in Hell-Dunkel, Komposition, Tiefenschärfen und Effekten. Erst das vollständige Rechteck ist ein Bild, nicht nur das Motiv.
Erst in den 1970er erlangt die Fotografie Akzeptanz als Kunst und galt nicht mehr nur als Hilfsmittel. Bald konnte auch Farbe und nicht nur Schwarz-Weiß als Photo-Graphisches bestehen, ob klassisch, subjektiv, collagiert oder experimentell. Zahllose Themen orientieren sich an Kunstgeschichte und am Leben: Porträt, Akt, Landschaft, Architektur, Reportage, Streetphotography, Werbung, Mode, Filmkulisse, Technik, Natur und Sozialkritik, Fälschung und Fiktion, Dokumentation und Poesie der Stille. Das spiegelt sich in den spezifizierten Themenfeldern der 18 Standorte.
Die Kontakte, die Nina Mika-Helfmeier mit Fotografinnen und Fotografen, Agenturen und Galerien aufgebaut hat und die aus dem KUK in Monschau ein respektables Zentrum und Forum für Fotografie gemacht haben, dessen Schwerpunktausstellungen oft einzigartig großen Häusern den Rang ablaufen, haben sich für solch ein Mammutprojekt bewährt. Es geht ihr um Vergangenheit und Zukunft, um Klassiker und Nachwuchs, um Internationales und Hiesiges, um Allianzen, wie der Titel des Projektes lautet.
Große Namen sind Zugpferde und qualitativer Ansporn: Reportagelegende Robert Lebeck, der gleich zweimal auftritt, auch als Porträtist, von der Witwe kuratiert oder Magnum-Klassiker Raymond Depardon als Erfasser ländlicher Lebenswelt. Den Blick mit DDR-geprägten Augen auf Paris konnten 1979-82 Sibylle Bergemann und Ute Mahler mit seltenen Visa erlangen und fingen poesiefrisch melancholiewache Alltagsstimmungen ein, abseits der Prägungen durch Brassaï, Cartier-Bresson oder Doisneau mit ihren teils gestellten Bild-Ikonen. Was 1990 respektable Ostkreuz-Agentur wurde, ist in Monschau die Shift-Gruppe.
Da und sonst vielfach einzeln gibt es junge und hiesige Talente, die an der Begegnung mit Arrivierten und miteinander wachsen. Der Austausch hilft dem Nachwuchs, dem Publikum und der Fotografie. Im vergleichenden Sehen schärft sich der Blick, durch die gute Auswahl und Inszenierung bleibt das Auge hängen, verfeinern sich die Sinne für Nuancen, für Qualität auch in fremden Genres. Schon die Fotografieszene ist eine eigene und differenziert sich selbst noch aus, nicht nur zwischen Kunst und Auftragsarbeit.
Die Kunst liegt auf der Straße und kann aus jedem Moment funkeln, wenn kompositioneller und inszenierter Ausdruck der Formwelt Bedeutung verleihen. Das Foto hält fest, ist Zeitdokument, lässt innehalten, schafft Erinnerung, Atmosphäre und Vision. Es sind die Visualisierungen, die berühren und ergreifen. Bilder bewegen die Menschen stärker zum Handeln, als Daten, Zahlen und Statistiken, stiften Mitempfinden, Verantwortung und Einfühlungsmöglichkeiten in Vergangenes, Gegenwart und ferne Welten. Der Mensch und die Natur, sein Umfeld und Sozialverhalten sind beim Fotografie-Festival 23 lohnend und in gut sortierten und aufeinander abgestimmten Themenhappen serviert. Die Möglichkeiten sind da. Die Zeit sollten sie sich nehmen und mitbringen, um vom schnellen Bildkonsum runterzukommen. Dann kann man auch über die über 600 Bilder diskutieren, die Blickwinkel, die Zeitbedingtheit, die Komplexität, den Humor, die Propaganda, die Präzision, die Sinnlichkeit, die Komposition, die Suggestion, die Qualität, den Beitrag zur Menschen- und Welterkenntnis und zu aktuellen Gesellschaftsfragen. bis 10.9.
„Fotografie-Festival der StädteRegion Aachen“
Forum für Fotografie, Monschau
www.kuk-monschau.de/fotografie-festival-23
Info
Im Fotografie-Forum der Städteregion in Monschau ist der Sprung als Bildthema vielfältig inszeniert. Von Lebensüberschwang, Tanz und Ballett zu Sport und Hindernisüberwindung. Bei einer Bildserie von Philippe Halsmann ist dieser schwerelose Bewegungsmoment bewusst inszeniert. Celebrities verlieren im ungewohnten Sprung kurz die Kontrolle und erweisen sich als steif oder lebensfroh, ehrgeizig oder plump. Im Aukloster hingegen schlägt die Magie der Stille in den Bann.
Foto: The Jump - Donata Wenders
Forum für Fotografie
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