Den soeben getätigten Wocheneinkauf direkt in den Müll entsorgen? Auf die Idee würde wohl keiner kommen. Doch laut dem „Food Index Report 2021“ der Vereinten Nationen landen weltweit rund 17 Prozent aller Lebensmittel ungenutzt im Abfall. Das entspricht schätzungsweise 931 Millionen Tonnen Lebensmitteln pro Jahr, die im Lebensmitteleinzelhandel, der Gastronomie und daheim weggeworfen werden.
Allein in Deutschland werden laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft circa elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle Jahr für Jahr entsorgt. Die Umweltschutzorganisation WWF geht sogar von 18 Millionen Tonnen aus – bei einem Nahrungsmittelverbrauch von rund 55 Millionen Tonnen.
Und auch hierzulande landen nicht nur ungenießbare Teile in der Tonne, sondern auch noch essbare Lebensmittel. „Das ist nicht nur ökonomisch eine Katastrophe, sondern auf für das Klima und die Umwelt. Denn jedes nicht verzehrte Lebensmittel bedeutet, dass unnötig Wasser sowie Fläche verbraucht wird und unnötig CO2 durch Herstellung, Transport und Lagerung emittiert wird“, sagt Nora Walraph, Pressesprecherin von „Too Good to Go“.
Die Lebensmittelverschwendung zählt zu den größten Treibern der Klimakrise. Globalbetrachtet verursachen der Verlust und die Verschwendung von Nahrungsmitteln bis zu zehn Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen. Dabei wäre geschätzt die Hälfte aller Lebensmittelabfälle vermeidbar. Dass viele Lebensmittel recht einfach zu retten wären, zeigt auch „Too Good to Go“. Das Unternehmen betreibt weltweit den größten Marktplatz für überschüssige Lebensmittel. Allein in Deutschland nehmen rund 24.000 Betriebe und etwa 11,7 Millionen Nutzerinnen und Nutzer an dem Programm teil. Eine große Community, die über die Jahre auch einiges bewirken konnte: Seit dem Start der App 2016 wurden in Deutschland rund 38 Millionen sogenannte Überraschungstüten – in denen sich beispielweise Obst und Gemüse, Backwaren oder Festtagsprodukte befinden – gerettet. Lebensmittel, die sonst in den Müll gelandet wären.
Auch in Aachen ist der Zulauf groß: In der App „Too Good to Go“ sind mittlerweile über 200 Betriebe wie etwa Supermärkte, Bäckereien, Hotels oder Restaurants vertreten. Für kleines Geld verkaufen sie das überschüssige Essen weiter. Was die Kundschaft genau erwartet, bleibt bis zur Abholung der Tüte aber – wie es der Name bereits verrät – eine Überraschung. „Food Waste ist zwar vorhersehbar, aber nicht genau planbar“, sagt die Pressesprecherin Nora Walraph. Daher können die Partnerbetriebe nicht nur den Inhalt flexibel anpassen, sondern auch die Anzahl an angebotenen Überraschungstüten.
Aktiv gegen die Verschwendung von Lebensmitteln setzt sich auch die Initiative „Foodsharing“ ein. Die umwelt- und bildungspolitische Bewegung setzt sich gegen den achtlosen Umgang mit Ressourcen und für ein nachhaltiges Ernährungssystem ein. Ziel der 2012 in Berlin gegründeten Initiative? Die Verschwendung von noch genießbaren Lebensmitteln zu verhindern. Dies gelingt allerdings nur vor Ort.
Unter dem Motto „ver-wenden statt verschwenden“ retten sogenannte ehrenamtliche „Foodsaverinnen“ und „Foodsaver“ Lebensmittel sowohl in privaten Haushalten als auch in Betrieben. Über 157.000 Menschen engagieren sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Rahmen der Umweltinitiative. Ihre Aufgabe? Überproduzierte Lebensmittel direkt von den Bäckereien, Supermärkten, Kantinen oder Großhändlern abholen und verteilen, so dass diese nicht in der Tonne landen. Dies über 7.200 Mal am Tag bei über 14.800 Kooperationspartnern.
Auch in Aachen hat Foodsharing mittlerweile ein großes Netzwerk. Über 1110 Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler sind hier regelmäßig, aber auf Zuruf bei rund 200 kooperierenden Betrieben unterwegs. Die Freiwilligen organisieren die Rettung über die Foodsharing-Webseite. Ob übriggebliebene Brötchen, krumm gewachsenes Obst und Gemüse oder abgelaufene Produkte: Sind die Produkte noch genießbar, werden sie auch mitgenommen. Das entscheiden die „Foodsaverinnen“ und „Foodsaver“ sorgfältig und in Eigenverantwortung. Was noch gut und essbar ist, wird dann anschließend verteilt – in Form von „Essenskörben“ oder in sogenannte „Fairteiler“. So kann die Verschwendung von Lebensmitteln zumindest ansatzweise reduziert werden. (Von Julie Vandegaar)
Am Rande
In Aachen gibt es derzeit neun „Fairteiler“, also Regale und Schränke, über die gerettete Lebensmittel an Privatpersonen weitergegeben werden. Befüllt werden sie aber nicht nur von den „Foodsaverinnen“ und „Foodsavern“, auch Privatpersonen lagern hier Lebensmittel, die sie aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr essen.
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