Horst Schnitzler, Ratsherr und OB-Kandidat, Familienvater und Lehrer, Mediengestalter und Computerfachmann, hat vor einigen Jahren beschlossen, ein Gutmensch zu sein. Er nennt es nur anders: Er nennt es Egoist.
Gutmensch, bei dem Begriff schaut er sein Gegenüber milde an. Der Ratsherr und Straßenkämpfer Horst, der sofort das Du anbietet. Zum Gespräch ins Lokma kommt der 57-Jährige mit dem Fahrrad, er trägt T-Shirt und Jeans. Das ergraute Haar ist kurz geschnitten, am linken Ohr trägt er einen Ring. Sein Händedruck ist fest – und sein Lächeln, nein es ist mehr: sein Lachen, ist einnehmend. Breit, offen, erwartungsfroh, ehrlich.
Er bestellt schwarzen Tee, so wie er es immer tut, wenn er hier ist. Das türkische Café am Kaiserplatz dient ihm unter anderem als Treffpunkt für die Bürgerinitiative gegen den Bau des „Konsumtempels“, der hier in Zukunft das Stadtbild prägen wird, die sogenannte Kaiserplatzgalerie.
Ein Projekt unter vielen in seiner Vita. Wenn irgendwo demonstriert wird, wenn es auf einer Podiumsveranstaltung kracht, wenn Bürger Fragen stellen, dann ist Schnitzler sicher mit von der Partie.
Dann mach doch was, Papa!
Das war mal anders. Er sei nicht immer so politisch aktiv gewesen wie heute. Er spricht von seiner elfjährigen Tochter, mit der er gerne „Mensch ärgere dich nicht“ spielt und die am Küchentisch bereits an politischen Diskussionen teilnimmt. Vor etwa sieben Jahren lief Schnitzler bei einer Demo gegen die Orsbacher Nerzfarm mit, einfach so als Teilnehmer. Seine kleine Tochter trug er dabei auf dem Arm. „Während der Demo erklärte ich ihr, wie schlimm das dort alles ist und als ich fertig war, sagte sie zu mir: ‘Ja Papa, dann mach doch was dagegen!‘ Das hat bei mir den Schalter umgelegt.“ Was dagegen machen, ein einfacher Kindersatz, das verstand er als konkrete Aufforderung, politisch aktiv zu werden.
Ich hatte Vorurteile gegen Ratsarbeit
Dieses „Man müsste eigentlich mal“ konnte Schnitzler daraufhin nicht mehr laut aussprechen. „Ich schämte mich vor mir selbst. Außerdem sah ich mich meiner Tochter gegenüber in der Pflicht.“
Seitdem hat er einiges bewegt: Am Anfang war die Bürgerinitiative zum Erhalt des alten Klinikumparks. Auf Anraten eines Freundes folgte dann die Kandidatur zur Wahl in den Stadtrat mit der UWG: „Eigentlich wollte ich das damals gar nicht. Gegen Ratsarbeit hatte ich so meine Vorurteile. Einige davon haben sich bestätigt.“ Auch wenn er vom Fraktionszwang spricht, kann er lachen. „Manche Anträge werden einfach abgebügelt. Dann spricht der Fraktionsvorsitzende und der Rest nickt brav alles ab.“
Bei der Kommunalwahl 2009 trat Schnitzler, zu der Zeit noch Mitglied der Linken, als OB-Kandidat für die UWG an und sorgte so für Verstimmung in den Reihen der Linken. Um einer Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit aus dem Weg zu gehen, trat er aus der Fraktion aus. Auf „Schmutzwerferei“ wollte er bewusst verzichten, das führe ja zu nichts. Er beugt sich nach vorne. Die Ellenbogen auf den Tisch gestützt spricht er von einer überlegten Entscheidung statt einer Kurzschlussreaktion: „Heute bin ich froh, dass ich diese Versammlungen nicht mehr mitmachen muss.“
Ich bin kein Moralist.
Seit sechzehn Jahren raucht Horst nicht mehr. Den Tag hat er sich im Kalender notiert. Auch ist er seit zehn Jahren Vegetarier, weil damals ja seine Mutter gestorben ist, an Krebs, und weil Fleischkonsum ja das Krebswachstum fördere. „Mit veganen Neigungen, aber das schaffe ich nicht so ganz.“ Er schmunzelt. Der Tee ist mittlerweile kalt. Aber Fleisch muss nicht sein. „Das kann ich doch mit gutem Gewissen nicht mehr essen“, erklärt er. „Was wäre ich denn dann für ein Sohn?“
Horst Schnitzler ist kein Gutmensch. Er will sich gar nicht toll fühlen, er will sich nur nicht schlecht fühlen. Er lebt gesund und ist politisch, weil er Gewissensbisse nicht aushält. Und da ist es wieder, dieses Lachen: „Ich bilde mir nicht ein, irgendein Heilsbringer zu sein. Wenn ich die Wahl habe, entweder etwas zu tun, oder ein schlechtes Gewissen zu haben, dann tue ich lieber was! Das ist gesunder Egoismus.“
Text und Foto: Marcus Erberich
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