Von Christina Rinkens
Kreativität auf fast 300 Quadratmeter, mitten im Frankenberger Viertel, dank verständnisvollem Vermieter bezahlbar. Klenkes-Redakteurin Christina Rinkens hat Mitglieder der Designmetropole Aachen im ehemaligen Astoria Hotel besucht und mit ihnen über das kreative Zusammenarbeiten, die Kreativ- und Kulturszene Aachens und die Mankos der Stadt gesprochen.
Ein hochherrschaftliches Haus aus der Gründerzeit. Gut, das ist in der prachtvollen Oppenhoffallee keine Seltenheit. Doch das Besondere am Gebäude an der Ecke zur Viktoriastraße ist seine Geschichte. Einst war hier ein Hotel untergebracht, später die Kantine des nah gelegenen Bürogebäudes der Vegla, dann ein Catering-Unternehmen. Und jetzt: Wohnraum oben, Praxen in der ersten Etage, ein Escape Room im Keller und in der ehemaligen Hotellobby. Und seit Mitte letzten Jahres gibt es auch für die ehemalige Großküche und den Kantinenbereich neue Mieter: Sechs Mitglieder der Designmetropole erfinden hier kreative Zusammenarbeit neu.
Auf fast 300 Quadratmetern kann sich die Design-WG austoben. Der Vergleich mit der Wohngemeinschaft kommt dabei nicht von ungefähr. Denn das hier ist nicht etwa ein Coworking- Space, wie er gefühlt an jeder Ecke aufploppt, sondern ein Raum, der sehr viel mehr bietet: Büroarbeit, Raum für größere Realisierungen von Projekten und eine Werkstatt. Und jeder der Mieter bringt seinen eigenen Background mit, sein eigenes Business, seine eigenen Visionen.
Fabian Seibert ist Mitbegründer der Designmetropole und macht vor allem Netzwerkarbeit in der gesamten Euregio, aktuell arbeitet er mit dem Cube-Museum in Kerkrade zusammen. Raoul König plant Aktionen mit Kindern und Jugendlichen rund ums Programmieren. Marcus Erdtmann ist Koch, experimentiert in seinem Küchen-Laboratorium und organisiert mit Christina Vedar Food-Savior-Events. Christina selbst ist Soziologin und Kunsttherapeutin und bietet in ihrem offenen Atelier Coachings an. Mario Irrmischer wiederum ist Fotograf, hauptsächlich für Werbung und Industrie, und Schlagzeuger in so einigen Aachener Bands. Marco Iannicelli ist Produktdesigner, seine Möbel und Lampen werden unter anderem in Mailand und Venedig ausgestellt und sind „irgendwo zwischen Nachhaltigkeit und Luxus“ einzuordnen.
Sechs Personen also, die aus vollkommen unterschiedlichen Bereichen kommen. Und die sich dabei gegenseitig unterstützen, die sich austauschen und gegenseitig voranbringen. „Jeder geht seinen Weg, aber zusammen geht’s sich leichter“, sagt Marco Iannicelli dazu im Gespräch in der ehemaligen Kantine. Neben der Sitzecke mit Blick in den eigenen Garten sind hier die Arbeitsplätze der sechs untergebracht. Nebenan in der ehemaligen Küche ist die Werkstatt, daneben eine kleine, aktuell nutzbare Küchenecke. In Eigenregie haben die neuen Mieter die ehemalige Industrieküche aus den 70er-Jahren ausgebaut. Zum einen wäre der Energieverbrauch bei Nutzung überdurchschnittlich hoch gewesen, zum anderen war alles eine Nummer zu groß. „Wer braucht schon eine Gulaschkanone für 200 Mann?“
Dass sie den Umbau selbst in die Hand nahmen, war Teil der Vereinbarung mit dem Vermieter. Dafür gibt es unverhältnismäßig günstige Konditionen und überhaupt die Möglichkeit, Räumlichkeiten wie diese in solcher Art zu nutzen. Möglich macht es der Vermieter, der an dieser Stelle ungenannt bleiben soll, dem mehrere Gebäude in Aachen gehören, das auch, weil es in der eigenen Verwandtschaft auch Designnachwuchs gibt. Und deshalb Verständnis für die kreative Szene. Ein Verständnis, das selten anzutreffen ist.
Kulturexemplare
Jahrelang hatten einige der sechs ihr „Headquarter“ in einem ehemaligen Industriegebäude an der Jülicher Straße, Ecke Krantzstraße. Nach bereits mehrjähriger Nachbarschaft mit den Werken von Street-Scooter folgte nach einem Eigentümerwechsel die Kündigung zugunsten einer Weitervermietung an den Elektroautohersteller. „StreetScooter wächst – das ist ja auch gut und schafft Arbeitsplätze, doch wir mussten dadurch innerhalb von drei Monaten unser Habitat verlassen“, erzählt Fabian Seibert.
Es musste also schnell gehen. Auf die Hilfe vonseiten der Stadt Aachen konnte das Kollektiv nicht setzen. Dabei waren sie kurz vorher noch als positives Beispiel für Aachens Kreativwirtschaft in einem Imagefilm genutzt worden. „Das war ein bisschen, als wären wir Polarbären auf einer schmelzenden Eisscholle“, sagt Marco Iannicelli. „Wir sind eben dankbare, abbildbare Leute.“ Auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstätte fragte Fabian Seibert auch im umgebauten Talstraßendepot in Aachen-Nord an. Immerhin wurde mit einer bezahlbaren Miete gelockt. Doch ein marktunüblicher Nebenkostenschlüssel und extrem hohe Auflagen hätten ihn rückwärts aus dem Depot getrieben. Das Paradoxe dabei: Das Depot sollte genau das werden, was hier im Astoria nun stattfindet. Ein Kreativzentrum. Mitglieder der Designmetropole waren sogar in die ersten Planungen einbezogen und sollten einen vertretbaren Mietpreis ermitteln. Der jetzige Preis übersteige den erheblich.
Marco Iannicelli findet scharfe Worte in Richtung der Stadt: „Ein Vermieter mit Wohlwollen macht den schlechten Stil und die Verfehlungen der Stadt wett.“ Im Gespräch wird deutlich: Die Kreativ- und Kulturszene Aachens fühlt sich von der Stadt Aachen oftmals im Stich gelassen. Dabei macht die Kulturszene eine Stadt erst zum lebenswerten Umfeld. Eine Chance, die die Stadt nicht sehe. Stattdessen würde an Alteingesessenem festgehalten. „Das ist ja auch menschlich, man unterstützt, was man kennt, was risikoarm ist. Aber dann ist es eben auch langweilig“, so Fabian Seibert.
Wundern brauche sich die Stadt daher nicht, wenn kaum jemand in Aachen bleiben wolle. Ihr Wunsch: Neue Mechanismen ausdenken, einen Nährboden schaffen, fördern auch abseits der Digitalwirtschaft. „Kleinkarierte Ansichten und zwischenmenschliche Feinheiten – schaut man sich nur die aktuelle Situation rund um Andreas Beitin an –, solche Kleinigkeiten vermiesen das Image der Stadt“, sagt Fabian Seibert. Problematisch sei auch die Haltung der Stadt, gut Laufendes und bereits Etabliertes nicht oder kaum zu unterstützen, sich aber gerne mit der Kulturszene brüsten zu wollen. In Kerkrade beispielsweise sehe man gerade, wie es anders laufen könne.
„Meine Quintessenz ist: Wir wohnen in Aachen, wir wollen in Aachen bleiben und Aachen weiterbringen. Unser Manko an Aachen ist die Stadt Aachen. Wir und andere Kreative versuchen dies zu kompensieren, indem wir uns selbst fördern und viel Eigenblut in Projekte stecken“, so Marco Iannicelli. Dafür gäbe es zahlreiche Beispiele in der Stadt: Von Straßenfesten über Kulturprojekte und selbstfinanzierte Kulturräume. „Wir halten unser Fähnchen hoch und gucken, was machbar ist.“ „Ich sage immer in meinen Workshops, Kreative können dazu beitragen, emotionale Lösungen zu finden und einen Nährboden für Zufälle zu schaffen“, so Fabian Seibert.
So wurde auch das ehemalige Hotel zu einem Nährboden. Ein Nährboden, der Aachen weiterbringen könnte. Und ein Lehrbeispiel, das zur Schule werden sollte. \
Hotel Astoria
Die Jahre, in denen das Hotel Astoria ein „echtes“ Hotel gewesen ist, scheinen nicht zahlreich gewesen zu sein. Ein Blick in die Adressbücher im Stadtarchiv Aachen hat aber folgendes ergeben: Stichprobensuchen belegen für 1955, 1957 und 1959 ein „Restaurant Astoria“ und für 1964 und 1966 ein „Hotel/Restaurant Astoria“. Zwischenzeitig war die Vegla Eigentümerin des Hauses. Die jetzigen Eigentümer besitzen neben diesem noch weitere Gebäude. Das Haus an der Oppenhoffallee ist natürlich auch im Denkmalverzeichnis der Stadt Aachen zu finden – jedoch mit dem Zusatz „teilweise“. \
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