Von Silke Schneider
In den sogenannten sozialen Medien wimmelt es von Hashtags wie „Plastik vermeiden“ und „Klima retten“, Demonstrationen für den Hambacher Forst oder gegen den Klimawandel sind gut besucht und irgendwie auch hip. Mit der Umsetzung der hehren Zielen sieht es bei vielen im Alltag aber bescheiden aus. „So geht‘s nicht weiter, es muss was passieren“, fanden der Aachener Professor Achim Kampker und seine Mitstreiter.
Von Anfang an, also seit Mitte Juni, ist Lara Biekowski schon dabei, sie ist zweite Vorsitzende des frisch gegründeten Vereins und hat mit ihren 28 Jahren schon eine Menge von der Welt gesehen. Überall kam sie mit Umweltthemen in Berührung: Eine ihrer frühesten Erinnerungen an einen Familienurlaub in Italien ist, wie sie sich als kleines Kind schon wunderte, dass dort der Abfall nicht getrennt wurde. Aus dem Oberbergischen zog sie nach Aachen, hier studierte sie Sprach- und Literaturwissenschaften, hat zwei Master und zwei Bachelorabschlüsse und war unter anderem in Südostasien und in Ghana, wo sie als freiwillige Helferin bei einer Initiative arbeitete, die Kinderheime unterstützt. „Hier reden immer alle von Plastikmüll und wie gefährlich das ist“, erzählt sie, „aber dort sieht man ihn wirklich überall. Besonders eingeprägt hat sich mir, dass ein kleines Kind solchen Hunger hatte, dass es Plastik gegessen hat.“
Beruflich ging es dann in Richtung Marketing. „Dieses Fashionding war nie so meins“, sie zog es zu PEM Motion, einer Firma, die 2014 sozusagen als Ableger von Professor Kampkers Lehrstuhl für Produktionsmanagement an der RWTH gegründet wurde und sich mit nachhaltiger, innovativer und erschwinglicher E-Mobilität befasst. Inzwischen sind 40 Mitarbeiter auf drei Kontinenten für die Firma tätig, “Achieving more with less” ist hier das Credo.
Vom Streetscooter zur Rettung der Erde
Der Name Achim Kampker wird meist in einem Atemzug mit dem Streetscooter genannt. 2010 gründeten der Ingenieur zusammen mit Günther Schuh die Street Scooter GmbH, die ein günstiges Elektrofahrzeug für den innerstädtischen und Kurzstreckenverkehr entwickelte. Die Deutsche Post kaufte das Unternehmen vier Jahre später, damit ihre Fahrzeugflotte klimaschonender unterwegs ist, seitdem sind über 9.000 Streetscooter für sie im Einsatz. Kampker verliess später das Unternehmen und kehrte an die RWTH zurück.
Durch die berufliche Arbeit kannten die Gründungsmitglieder von „Ingenieure retten die Erde“ sich schon eine Weile und waren sich einig: „Nur drüber reden hilft nicht, wir müssen selber etwas starten und etwas bewegen.“
Und der Name? Wieso sollen ausgerechnet Ingenieure die Welt retten?
Lara Biekowski lacht. „Natürlich sind wir nicht nur Ingenieure, ich selbst ja auch nicht, wir brauchen jeden, der bereit ist mit anzupacken. Der Name ist mit Absicht so plakativ gewählt. Wir kamen darauf, weil vor allem Ingenieure viel Tolles geschaffen haben, wie etwa Plastik oder den Verbrennungsmotor, was aber auch negative Seiten hat. Deshalb sollen Ingenieure sich zum Ausgleich jetzt auch um die Auswirkungen ihrer Erfindungen kümmern.“ Die spektakulärste Idee dazu stammt von Achim Kampker: das Humanotop, eine von Ingenieuren geschaffene nachhaltige und ressourceneffiziente Modellstadt, die Stadt der Zukunft. „Meine Vision ist es, eine Stadt so zu gestalten, dass sie ressourcenneutral ist. Was die Stadt an Energie oder Nahrung benötigt, soll dort auch selbst produziert werden“, so Kampker.
Orientiert sich der Verein an einem schon existierenden Projekt? „Nein, so etwas gibt es bisher noch nicht“, so Lara Biekowski, „aber viele passende Einzelprojekte, wie zum Beispiel das Aachener Projekt Pacific Garbage Screening, das sind alles Puzzleteile. Aber man muss sich große Ziele setzen, um etwas zu erreichen.“ Im Moment wird noch an einer eigenen Website gearbeitet, nachdem der Verein in den Medien auftauchte erreichen ihn täglich neue Anfragen. „Noch ist unsere Mitgliederzahl zweistellig und die drei Frauen sind ganz klischeemäßig keine Ingenieure“, erzählt Lara Biekowski lachend.
Ein erster Meilenstein
Mitte Oktober finden an der RWTH die Elektromobilproduktionstage (EPT) statt,die von PEM Motion gesponsort werden – ein erster Meilenstein. Es wird dort einen Ideenwettbewerb geben und der Verein hofft auf die Unterstützung anderer Uni-Institute. Es soll Diskussionen zu vielen Themen geben - nicht nur Mobilität und Energie, sondern auch Wasser, Nahrungsmittel, Artenvielfalt und Produktion. „Gebraucht werden Fachleute aus allen Bereichen, auch Geisteswissenschaftler, Architekten und Multiplikatoren wie Lehrer und Lehrerinnen, Hauptsache sie sind engagiert und leben privat konsequent ressourcenschonend.“
Wie muss man sich dieses Humanotop denn vorstellen, ist eine ressourcenneutrale Stadt überhaupt machbar? „Erst einmal müssen wir uns dem Ideal soweit wie möglich annähern. Für Einzelne ist das gar nicht zu schaffen, wir sind auf industrielle Lösungen angewiesen und Projekte wie etwa die Unverpackt-Läden. Bei uns können sich Städte aber ganz konkret als Bauort bewerben“, so Lara Biekowski, „denkbar wäre zuerst einmal ein altes Fabrikgebäude, in dem mithilfe von Indoor-Farming, Vertical Gardening und Solarpanelen Lebensmittel angebaut und in einer Markthalle im Erdgeschoss verkauft werden, so spart man sich Transportwege. Es ist einfach unsinnig, im Januar Erdbeeren essen zu wollen, wir haben hier genug regionale Obst- und Gemüsesorten für jede Saison.“
„Ich konnte einfach nicht von dem Plastikteller essen.“
In ihrem privaten Umfeld ist das Feedback manchmal noch gemischt, manche belächeln ihr Engagement. Sie selbst merkt immer wieder, wie schnell man an Grenzen stößt, zahlreiche Produkte sind nur aufwendig verpackt und aus Plastik zu bekommen, viele ihrer Bekannten setzen ihre Überzeugungen nicht in den Alltag um: „Mein Freund ist Amerikaner und kann kaum fassen, dass hier kaum jemand eine Klimaanlage hat, er ist gewöhnt, dass sie ständig läuft. Und letztens war ich bei Freunden zum Essen eingeladen – und es gab One-Way-Plastikteller, weil die Gastgeber nicht soviel spülen wollten. Da konnte ich einfach nicht von essen und habe dann angeboten, mich hinterher selbst ums Spülen zu kümmern.“ \
Stadt-Utopien
Schon seit über 500 Jahren gibt es die Idee von der idealen Stadt, der italienische Bildhauer und Architekt Filarete gilt als Urvater der urbanen Utopie. Heute kennt man zum Beispiel die künstliche Inselstadt in Palmenform in Dubai, in der chinesichen Provinz Shanghai entsteht zur Zeit eine Planstadt um einen kreisrund angelegten See. \
Zum Plastik
Als Plastik werden Werkstoffe bezeichnet, die hauptsächlich aus Makromolekülen bestehen. Zwischen 1950 und 2015 wurden rund 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt – etwa eine Tonne pro Kopf der Weltbevölkerung. Davon wurden ca. 6,3 Milliarden Tonnen zu Abfall, der zu 9 Prozent recycelt, zu 12 Prozent verbrannt und zu 79 Prozent auf Müllhalden deponiert wurde beziehungsweise sich in der Umwelt anreichert. (Wikipedia) \
humanotop.earth
Einen Hashtag gibt es natürlich auch: #EngineersForFuture
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