Von Manfred Kistermann
Die Reise in die Vergangenheit beginnt in einer Garage, einer doppelten. Kaum ein Fahrzeug dürfte hier Ruhe gefunden haben, denn das Ganze diente nur einem Zweck: der Tarnung. Hinter der Tür in der Rückwand befindet sich der Eingang zu einer Anlage, die jahrzehntelang geheim war, streng geheim. Im beschaulichen Eifeldorf Urft bei Kall ahnten die Bewohner nicht, was sich neben dem harmlosen Wohnhaus eines Elektrikers Am Gillesbach 1 befand: der Ausweichsitz der Landesregierung NRW, so der Titel. Besser gesagt: ein Atombunker. Hierhin sollte sich in Zeiten des Kalten Krieges, tief in einem Berg versteckt, der Ministerpräsident mit seiner Bürokratie verziehen, wenn es zu einer atomaren Auseinandersetzung oder einer gigantischen Katastrophe gekommen wäre.
Dazu kam es glücklicherweise nicht, und so wurde das für umgerechnet 100 Millionen Euro von 1962 bis 1965 errichtete Bauwerk nach 30 Jahren Betriebsbereitschaft kurzerhand geschlossen, ohne jemals, außer für zwei Übungen im Jahr, ernsthaft genutzt worden zu sein. Das Land bot den Bunker jedermann zum Kauf an. Doch was tun mit einem voll ausgerüsteten Unterschlupf?
Dr. Claus Röhling aus Herzogenrath griff auf Anraten seines Schwiegervaters, des im Nebenhaus des Bunkers wohnende und gleichzeitig im Bunker arbeitende Elektrikers, zu. Seine Firma für Messtechnik sollte unterirdisch Materialprüfungen unbeeinflusst von Störungen durchführen. Platz genug gibt es für diesen Zweck: Das Bauwerk misst 35 mal 29 mal 16,2 Meter. Das ergibt eine Grundfläche von 1.020 Quadratmetern, oder ein Raumvolumen von 16.000 Kubikmetern.
Doch Röhlings Pläne zerschlugen sich. Dem Bunker drohte der Dornröschenschlaf: Vollgespickt mit veralteter Technik, riesigen Maschinen, sogar Gesetzessammlungen und einem Rundfunkstudio neben Schlaf- und Versorgungsräumen. Die Familie Röhling entschied vor mehr als zehn Jahren, das Ganze als Dokumentationsstätte zu erhalten. Seitdem ist aus dem geheimen ein öffentlicher Ort geworden, denn Claus Röhling und sein Sohn Harald führen regelmäßig Besuchergruppen durch die liebevoll gepflegte Anlage und bieten somit vor allem auch jüngeren Generationen einen Einblick in Technik vergangener, Internet- und Smartphone-freien Zeit – vom Fernschreiber über Schreibmaschinen bis hin zu Filteranlagen für frische Luft und Notstromgeräten sind zu sehen. Dazu werden die Unterkünfte für die 200 Ministerialbeamten, die hier arbeiten sollten, präsentiert.
Und damit die Besucher sich auch ein Bild machen können, was damals bei den Übungen hier abging, spielt Claus Röhling gerne ein Szenario durch: Atombomben sind über dem Ruhrgebiet explodiert. Die Polizei holt mit Bussen die Spitzen der Ministerien, insbesondere des Innenministeriums, in Düsseldorf ab. Ausschließlich Männer besetzen verschiedene Führungs- und Lagezentren im Bunker. Neben dem Ministerpräsidenten ist auch die Polizeiführung des Landes dabei.
Das Referat „Führung“ hält die Fäden in der Hand. Durch eine Klappe im Führungsraum werden von nebenan laufend Fernschreiben mit den neuesten Hiobsbotschaften hereingereicht. Es muss Vieles organisiert werden. Ringsum sind die Fach-Referate angesiedelt. „Fluchtbewegung“ heißt eines von besonderer Bedeutung: Hunderttausende Menschen fliehen nach Westen, die Rheinbrücken sind zerstört, Lebensmittel und Trinkwasser müssen her, Verletzte sind zu versorgen. Entscheidungen sind schnell zu fällen. Dokumente werden gesichtet: Die Beamten verfügen über Unterlagen, in denen detailreich über sämtliche zur Verfügung stehenden Hilfsmittel informiert wird. Wo kann man schnell Lebensmittel in großen Mengen ordern? Wo lagern die sieben Notbrücken, die notfalls kurzfristig über den Rhein geschlagen werden können, um den Menschen die Flucht zu ermöglichen? Wo liegen Sanitätsmaterial, Kleidung, Medikamente? Befehle müssen erteilt werden. Das Referat „Verkehr“ muss Fahrzeugströme lenken, die Polizei soll verhindern, dass in diesen chaotischen Zeiten Plünderungen stattfinden.
Soweit die Theorie. Heute weiß man, dass die Bunkerspiele wohl kaum einem Atomkrieg und seinen Folgen hätten Paroli bieten können. Aber eine Bedrohung wie eventuell eine Explosion im Reaktor von Tihange, wäre von hier heraus zu managen gewesen. Für 30 Tage reichten die Vorräte im Bunker, danach wäre Schicht im Schacht gewesen.
Geschlafen wurde in Schichten zu dritt und mehr in einem Raum, 98 Betten standen zur Verfügung, nur der Ministerpräsident hatte ein Einzelzimmer – spartanisch, wie man sich heute noch überzeugen kann. In einer Jugendherberge lebt es sich schöner. Eine Mini-Kantine verpflegte die Besatzung, heute werden hier Würstchen für Besucher zubereitet. Falls der WDR als Radiosender nicht mehr funktionstüchtig gewesen wäre: Im Bunker ist ein vollständig ausgerüstetes Studio von dem aus die Bunker-Regierung ihre Anweisungen an die Bevölkerung geben wollte. Eine aufgezeichnete Sendung liegt noch in der Bandmaschine: Musik von Edith Piaf hätte die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen beruhigen sollen.
Bunkerführung
Führungen finden samstags 16 Uhr und mittwochs 10 Uhr statt. Eine Anmeldung ist erwünscht. Extra-Termine für Gruppen ab 10 Personen möglich. Der Eintrittspreis beträgt 10 Euro. Kinder bis 14 Jahren zahlen 5 Euro. Die Temperatur im Bunker liegt bei sieben Grad. Fotografieren während der Führung ist nicht gestattet. Für Fotofreunde werden eigens Fototage veranstaltet, bei denen man nach einer Führung ungestört stundenlang im Bunker fotografieren kann. Infos dazu gibt’s im Netz. \
„Dokumentationsstätte ehemaliger Ausweichsitz der Landesregierung“
Am Gillesbach1, Kall-Urft
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