Von Belinda Petri und Kira Wirtz
Hinter der schweren Eingangspforte des Klosters tut sich eine andere Welt auf: Mitten in der hektischen Innenstadt ist es plötzlich total ruhig und obwohl es den Menschen, die hier herkommen, meist nicht besonders gut geht, ist der Umgang miteinander freundlich und respektvoll. Das liegt vor allem an Schwester Veronika Stolze, ihren Mitschwestern und den zahlreichen ehrenamtlichen Helfern. Ein Frühstücksbesuch im „Klösterchen“ …
Wieso ist die Bereitschaft zum Spenden und Helfen immer nur in der Adventszeit ein Thema? Schließlich frieren und hungern die Menschen auch im Januar, Februar oder März auf der Straße. Schwester Veronika Stolze nickt und antwortet, dass das mediale Interesse in der Vorweihnachtszeit schon größer sei, aber sich letztlich doch auch viele Menschen das ganze Jahr über engagieren. Die rund 35 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer machen das, was sie können und wollen, denn der Umgang mit den Bedürftigen ist nicht immer einfach.
„Auch bei uns spielt das Thema Aggression eine Rolle, da müssen wir – im Interesse aller – direkt einen Riegel vorschieben, das darf nicht eskalieren“, sagt die resolute Leiterin der Franziska-Schervier-Stube. Dabei hilft auch schon einmal ein 82-jähriger ehemaliger Zöllner, der gerade in der Küche Brötchen schmiert und schon manche Situation entschärft hat. Der Stress der Straße soll bewusst vor den Klostertoren bleiben.
„Wir hatten hier auch schon einen Schüler, der mitgeholfen hat. Der kam jeden Morgen mit dem Bus aus Roetgen. Das ist doch toll, oder?“, strahlt Schwester Veronika. Auch von den Bedürftigen helfen einige beispielsweise bei den Brotaktionen mit. So wie Schwester Veronika alles von der guten Seite aus sieht, reagiert sie auch hier: „Sie helfen regelmäßig, deshalb kommen sie auch mit zu unserem jährlichen Betriebsausflug!“
Schwester Veronika lacht viel, kennt jeden mit Namen und wird freundlich von jedem gegrüßt. Sie „regiert“ mit Konsequenz und Respekt, wie einst „Mutter Rabiata“, eine Ordensschwester, die sie als junge Frau kennenlernte. Obwohl sie nicht jede Geschichte kennt und auch nicht kennen muss, kann jeder Gast ihr sein persönliches Schicksal mitteilen, sofern er es möchte. Sie hat ein gutes Gespür für die Menschen, setzt sich zu ihnen an den Tisch, hört zu oder schweigt mit ihnen. „Es kommt immer auf die richtige Wortwahl an: Man kann die Wahrheit wie einen schützenden Mantel oder wie einen nassen Lappen vermitteln“, kommentiert Schwester Veronika die Situation, in der sie zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Stube einem älteren Gast klarmachen sollte, dass sich andere über ihn beschwert hatten, weil er ungepflegt und ungewaschen war.
Generell nutzen mehr Männer als Frauen die Einrichtung, dennoch gibt es auch wohnungs- oder obdachlose Frauen in Aachen, aktuell wird eine Bedarfsermittlung dazu erstellt. Dass mehr Männer als Frauen herkommen, erklärt Schwester Veronika damit, dass bei einer Trennung häufig der Mann ausziehe, dann keine Wohnung finde und schneller in die Obdachlosigkeit rutsche. Mit anderen Organisationen, wie Querbeet, Café Plattform, Wabe e.V. und natürlich der Stadtverwaltung stehe man in regen Austausch, es gibt ein gut funktionierendes Netzwerk, bei dem auch über kurze Wege Hilfe erfolgen kann: „Ein schneller Anruf hier oder da und die Sache ist erledigt.“ Dabei bekommt die Franziska-Schervier-Stube weder Geld von der Kirche noch von der Stadt, hier ist alles komplett durch Spenden finanziert.
„Viele Menschen wollen uns helfen, aber wer außen steht, weiß oft nicht, was hier drinnen passiert. Sachspenden in Form von Kleidung sind natürlich toll, wir kommen aber in der Kleiderkammer, die nur für Notfälle gedacht ist, kaum hinterher und manchmal wird etwas ganz anderes benötigt, zum Beispiel Hygieneartikel.“ Sie erzählt von der Rotarier-Aktion „Ein Teil mehr“, bei der im Supermarkt zum Kauf eines weiteren Gegenstands für Bedürftige aufgerufen wurde. Ein paar Tage später klingelte es und ein Zahnarzt brachte – angeregt von der Supermarktaktion – Zahnbürsten und Zahnpasta vorbei. Aber egal, was gespendet werden soll, man sollte unbedingt vorher anrufen! Denn die spontane Idee, am Samstagabend nach einer Feier 30 übrig gebliebene Pizzen vorbeizubringen, hilft leider wenig.
Aktuell wünscht sich Schwester Veronika für die Schervier-Stube Besteck, das werde halt öfters „mitgenommen“, wie sie es grinsend ausdrückt, oder ganz pragmatisch einen Selbstverteidigungskurs für das Team, um kritischen Situationen besser entgegen treten zu können. Statt einer Geldspende könnte eine Institution oder ein Verein doch auch einen solchen Kurs sponsern.
Gerade, wenn Bedürftige an Weihnachtstagen zum ersten Mal in die Stube kommen, berührt sie das. „Wie viel Not muss sein, wenn ich am Feiertag in eine Einrichtung gehe? Wie viel Einsamkeit gibt es da draußen?“ Über Stammkunden freut sie sich genauso wie über jeden Neuankömmling, wenn sich an die Hausregeln gehalten wird. Sprich: Keine Drogen, keine Aggression! „Wenn ich die Menschen dann gemeinsam an den Tischen sitzen sehe, denke ich: wie gut, dass es uns gibt.“
Schwester Veronika hat starkes Vertrauen in alles, für sie wendet sich immer alles zum Guten. „Wenn wir hier manchmal alleine stehen oder die Ehrenamtler alle zeitgleich abgesagt haben, denke ich: „Gott, bitte hilf mir. Das ist jetzt wirklich Chefsache!“
Aber warum helfen nicht mehr Menschen? „Ich frage mich oft, ist die Arbeitswelt so hart oder alles so viel, dass man das Menschliche vergisst? Leider leben wir in einer Welt, in der es viel zu oft heißt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Doch nur aus frommen Glauben heraus, kann man so einen Job nicht machen und auf einen guten Ausgang jeder Geschichte hoffen. Wir brauchen sowohl die Zeit von Menschen als auch ihr Geld, sonst könnten wir die Arbeit hier nicht machen.“ \
Franziska-Schervier-Stube
Elisabethstraße 19
Eingang: Kleinmarschierstraße 47/49
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