Freudestrahlend verkündet Gitte (Corinna Harfouch) vor dem Essen ihren Beschluss und schaut danach in die erstarrten Gesichter ihres Ehemannes und der beiden erwachsenen Söhne. Gitte und ihre Krankheit feiern mittlerweile ihr dreißigjähriges Jubiläum und schon seit Monaten hat die chronisch depressive Mutter ihre Medikamente abgesetzt. Sie will genauso wie ihr Mann Günther (Ernst Stötzner), der gerade seinen Verlag verkauft hat, einen neuen Lebensabschnitt beginnen und wieder als ernst zu nehmendes Mitglied in die Familie aufgenommen werden. Aber von den Männern am Tisch will keiner wirklich darauf anstoßen. Gittes Krankheit hat die Struktur der Familie stark geprägt. Die jahrzehntelange Angst, der Mutter bestimmte Wahrheiten nicht zumuten zu können, hat zu einer Kultur der Verschwiegenheit geführt. Genauso wie Marco (Lars Eidinger) nichts von seiner Trennung erzählt, Günther die wahren Hintergründe seiner Reisepläne verschweigt, verheimlicht Jakob (Sebastian Zimmler), dass seine Zahnarztpraxis, die der Vater ihm samt geräumigem Wohnhaus ein paar Straßen weiter gebaut hat, einfach nicht in die Gänge kommt. Während die Mutter ganz gut ohne Medikamente zurechtzukommen scheint, gerät der Rest der Familie zunehmend aus dem emotionalen Gleichgewicht.
Hans-Christian Schmid (siehe Kasten) gehört zu den Präzisionshandwerkern des deutschen Kinos und hat seinen neuen Film „Was bleibt“ als familiäre Zerfallsstudie angelegt. Nicht als kühler Analytiker, sondern als Anteil nehmender Beobachter dringt er Schicht für Schicht in die Strukturen des westdeutschen Mittelstandes vor. Wie Schmid mit höchster emotionaler Genauigkeit die Konfliktlinien in der Familienaufstellung bis in die feinsten Verästelungen abtastet, das ist ganz großes Kino auf engstem Raum. An den Dialogen ist kein Gramm zu viel. Die Ausstattung für die Sphäre des wohlsaturierten Bürgertums ist sorgfältig ausgewählt und nie plakativ. Und natürlich das erstklassige Ensemble: Corinna Harfouch arbeitet die Wahrheitsmomente ihrer Figur kristallklar heraus, Ernst Stötzner verrät den Vater nie ans Patriarchenklischee, Lars Eidinger nimmt das Publikum auf der Wanderung durch den Familiendschungel mit wunderbarer Zurückhaltung bei der Hand und Sebastian Zimmler in der Rolle des scheiternden Richtigmachers ist eine echte Entdeckung. /// Martin Schwickert
„Was bleibt“
D 2012 // R: Hans-Christian Schmid
Start: 6.9.
Bewertung der redaktion
WEITEREMPFEHLEN