Von Martin Schwarz
Nicht nur wegen seines ungepflegten Fusselbarts wirkt der erfolgreiche Pariser Cartoonist Victor (Daniel Auteuil) wie aus der Gegenwart gefallen. Was die jungen Leute in ihrer digitalen Welt so treiben, ist für ihn alles Unfug, und überhaupt wird der schlechtgelaunte Mittsechziger nicht müde, alles und jeden in seinem sozialen Umfeld zu kritisieren. Bis es seiner überaus agilen, im besten Sinne junggebliebenen Frau Marianne (Fanny Ardant) zu viel wird: Sie beginnt eine Affäre und setzt den ewigen Griesgram kurzerhand vor die Tür.
Das wiederum alarmiert Maxime (Michaël Cohen), den Sohn der beiden. Er will die Ehe der Eltern retten, seinem Papa helfen und schlägt ihm vor, er solle sich mit Unterstützung seines Freundes Antoine (Guillaume Canet) und dessen expandierender Firma „Time Travellers“ auf eine inszenierte Zeitreise begeben. In einer immens aufwändigen, hübsch teuren Studiodekoration und mit eigens gebuchten Schauspielern kann man sich in jedes beliebige Jahr versetzen lassen. Victor willigt ein und wählt den 16. Mai 1974 – damals hat er Marianne kennen und lieben gelernt. Es dauert nicht lange, bis er sich von Kettenrauchern, Schlaghosen und der vertrauten Szenerie der alten Lieblingskneipe „La belle époque“ – so auch der Originaltitel des Films – ebenso betören lässt wie von der Marianne-Darstellerin Margot (Doria Tillier). So sehr, dass Victor bald kaum noch zwischen Realität und Kulisse unterscheiden kann. Parallel dazu führen Firmenchef Antoine und Margot ihre chaotische Liebesbeziehung im Hier und Jetzt fort.
Was ziemlich artifiziell klingt, entpuppt sich rasch als clevere und sehr kurzweilige Tragikomödie über einen Mann, der erst ins Gestern reisen muss, um sich über das Heute klar zu werden. Victor muss aus den eingefahrenen Strukturen seines Daseins ausbrechen, um sich wieder dem Wesentlichen zuwenden zu können. Auf sehr französische Weise feiert „Die schönste Zeit unseres Lebens“ mit allerlei Emotionen das Leben und wirkt dabei lange nicht so gezwungen wie „Die Poesie der Liebe“ von 2017, der vorherige Film von Regisseur und Autor Nicolas Bedos. Mit Fanny Ardant und Daniel Auteuil führt er zudem zwei Leinwand-Ikonen unseres Nachbarlands zusammen und reflektiert spielerisch auch über das Medium Kino selbst: Hier wie dort geht es um eine künstlich hergestellte Welt der Illusionen, in der sich der Zuschauer im besten Falle verlieren soll und anhand der er womöglich über sein eigenes Leben sinnieren kann. So wie Victor im Film. \
Am Rande
Persönlichkeitsentwicklung durch echtes Zeitreisen ist Thema von „Peggy Sue hat geheiratet“, „Lieber gestern als nie“, „Midnight in Paris“, „Alles eine Frage der Zeit“ und der Serie „Being Erica“. Und auch fast alle Filme und Serien, in denen die Protagonisten in eine inszenierte Realität versetzt werden, entstammen dem Science-Fiction-Genre, darunter „Welt am Draht“, „Westworld“, „Total Recall“, sowie, wenn auch nah dran an der heutigen Medienwelt, die „Die Truman Show“, während „The Game“ als spannender Thriller funktioniert. \
„Die schönste Zeit unseres Lebens“
F 2019 // R: Nicolas Bedos
Start: 28.11. | 115 Minuten | FSK 12
Bewertung der redaktion
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