Als Händel 1737 zur Kur in Aachen weilt, um sich von den Folgen eines Schlaganfalls zu erholen, steht er an einem Wendepunkt in seinem Leben. Die vergangenen Jahre waren seiner Gesundheit und seinem Wohlergehen in hohem Maße abträglich gewesen.
Auch der 1733 uraufgeführte „Orlando“ entstammt diesem Lebensabschnitt und fand keine Gnade vor dem Publikum. Dabei dürfte das Sujet der Oper, welches auf das Heldenepos „Orlando furioso“ (Der rasende Roland) des Renaissance-Dichters Ariost zurückgeht und das den Feldzug Karls des Großen gegen die Sarazenen heroisiert, zumindest geneigten Zeitgenossen Händels durchaus bekannt gewesen sein. Der unglückliche Held Orlando, ein Gefolgsmann Karls, muss sich entscheiden zwischen dem Ruhm als Ritter und der Liebe zu einer Frau, Angelica, die bedauerlicherweise nicht ihn, sondern den Kriegsveteranen Medoro liebt.
Liebesqualen
Dies tut auch Dorinda, durch deren Indiskretion Orlando von der Liebe Angelicas und Medoros erfährt. Wahnsinnig vor Wut zerstört er alles, was nicht niet- und nagelfest ist und tötet auch Medoro und Angelica. Die sind aber, wie es nur in der Oper geschehen kann, letztlich nur scheintot und werden von Zoroastro, einem Zauberer, wieder zu neuem Leben erweckt. Der von seinen Liebesqualen befreite Orlando beteuert daraufhin, sich fortan nur noch seinem Kriegshandwerk widmen zu wollen.
Am Theater Aachen bildet die Neuinszenierung des Orlando den Schlusspunkt der drei Ariost-Opern Händels. Ebenso wie bei „Ariodante“ und „Alcina“, den beiden anderen Werken aus dem Zyklus, die bereits im Karlsjahr 2014 zur Aufführung gelangten, vertraute die Intendanz die Regie dem Schweizer Jarg Pataki an, der das Libretto gehörig auf den Kopf stellt. Die romantisch pastorale Szenerie der Urfassung wird in eine Anstalt für experimentelle Psychiatrie verlegt, deren leitender Arzt Zoroastro ist – ein nicht unbedingt neuer, aber irgendwie doch konsequent logischer Regieeinfall.
Die übrigen Figuren, welche allesamt an psychischen Störungen leiden, bewegen sich auf einer Drehbühne, auf der pausenlos etwas passiert: Mal gibt es persönlichkeitsverändernde Injektionen, mal Psychopharmaka in Reih und Glied. Patienten zerschneiden Puppen, stricken Endlosschals oder ergehen sich unentwegt in stereotypen Zwangshandlungen.
Äußerst konzentriert
Sämtliche Darsteller, auch die der Aachener Statisterie, sind hervorragend disponiert, spielen lustvoll und agieren äußerst konzentriert mit großer Liebe zum Detail. Dies gilt in hohem Maße auch für den Titelhelden, der von dem italienischen Countertenor Antonio Giovannini genial verkörpert wird. Großartig auch die beiden Sopranistinnen in den Rollen der Angelica und der Dorinda. Glänzend eingestellt ist auch das Sinfonieorchester Aachen, welches aus Gründen der historischen Aufführungspraxis, für die sich die Verantwortlichen entschieden haben, um einige Spezialisten aus dem Bereich der Alten Musik verstärkt wurde.
Selbstverständlich wird auf Originalinstrumenten aus der Zeit Händels musiziert oder solchen, welche originalgetreu nachgebaut wurden. Das Dirigat des jungen Ersten Kapellmeisters Justus Thorau überzeugt. Händel liegt ihm. Die Tempi sind lebendig, die Phrasierungen treffend und die Führung der Orchestermusiker und Sänger lässt keinerlei Unsicherheiten erkennen.
Aus gutem Grund erhält die herausragende musikalische Darbietung den ungeteilten Zuspruch des Publikums, das begeistert und lang anhaltend applaudiert. Die Inszenierung bekommt – leider – einige vernehmliche Buhs. Wirklich verstehen kann man das aber nicht. \ Ulrich Herzog
19.12.
„Orlando“
19.30 Uhr, Theater Aachen
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