Kein Zweifel. Leo Blech war ein herausragender Musiker. Der 1871 in Aachen als fünftes Kind einer jüdischen Bürsten- und Pinselfabrikatenfamilie geborene Sohn fiel bereits im frühen Kindesalter durch eine herausragende musikalische Begabung auf. Der spätere Kapellmeister am Aachener Theater erreichte als Dirigent den Höhepunkt seiner Karriere als er 1906 an die damalige Berliner Hofoper, der heutigen Staatsoper Unter den Linden, berufen wurde. 1913 wurde er dort Generalmusikdirektor auf Lebenszeit. 1931, anlässlich seines 60. Geburtstags, wurde ihm aus Aachen die Ehrenmitgliedschaft des Stadttheaters angetragen, welche auch offiziell besiegelt wurde. Die zwangsweise Pensionierung Blechs durch die Nationalsozialisten ließen die Dinge jedoch in Vergessenheit geraten. Besondere Ironie dieses Schicksals: An Blechs späteren Nachfolger in Aachen, Herbert von Karajan, erinnert, trotz dessen dubioser Nähe zu den Nazis, seit Jahrzehnten eine in Bronze gegossene Büste im Theaterfoyer, gleichsam „auf Augenhöhe“ zum gegenüber platzierten Beethoven. Es war eine richtige Entscheidung, die Ehrenmitgliedschaft Blechs am Theater Aachen anlässlich der 150. Wiederkehr seines Geburtstags posthum wiederherzustellen. Verbunden wurde der Festakt mit der nachfolgenden Premiere von Leo Blechs 1903 uraufgeführter Oper „Alpenkönig und Menschenfeind“, die nach intensiven Recherchen in diversen Archiven rekonstruiert werden konnte. So angesehen Blechs Begabungen als Dirigent auch waren, bei seinen Kompositionen ist die Begeisterung der Nachwelt nicht gänzlich ungeteilt – zu rückwärtsgewandt, zu romantisch und zu viel stilistisches Allerlei zu einer Zeit, als Blechs Zeitgenossen bereits die Grenzen der Tonalität austesteten und das Tor zur Moderne aufstießen. Auch der Alpenkönig ist ein bunter Stilmix mit Anflügen von Humperdinck, Wagner, Smetana, gelegentlich eingestreuten volkstümlichen und operettenartigen Melodien und weihevollen Bläsersätzen. Die Handlung der Oper ist übersichtlich: Rappelkopf ist ein unerträglicher, erkennbar an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidender Kotzbrocken, der sich von der ganzen Welt verfolgt fühlt, seine Frau für eine Mörderin und seine Tochter für eine Schlampe hält, die sich einem mittellosen Musiker an den Hals wirft. Heilung bringt eine Art kognitiver Verhaltenstherapie durch eine Begegnung mit dem Alpenkönig Astragalus. Der zähmt den widerspenstigen Rappelkopf, indem er ihn mit seinem Ebenbild konfrontiert, woraufhin dieser sein Fehlverhalten erkennt und sich auf der Stelle in einen liebenswerten Menschen verwandelt. Man sieht, wir befinden uns in einer Märchenwelt! Die Regiearbeit von Ute M. Engelhardt setzt augenscheinlich auf Symbolik. Zwar erschließt es sich nicht ohne weiteres, was ein aufgebäumtes Pferd, ein tanzender Pferdekopf oder zwei weitere Pferdeköpfe mit rauchenden Nüstern auf der Bühne zu suchen haben. Ebenfalls nicht selbsterklärend sind die Scherenhände des Tischlermeisters und die Ballonfäuste eins aus dem Schnürboden herunterbaumelnden, strampelnden Tänzers. Anregung für Diskussionen bietet das jedoch allemal und vielleicht entfaltet es seine Wirkung ja auch im Unterbewussten. Das Sinfonieorchester Aachen, über das der bekennende Blech-Fan Christopher Ward waltet, schillert in betörenden Klangfarben, die Tempi angemessen, die Dynamik gefühl- und rücksichtsvoll, nie das harmonisch agierende Solistenensemble übervorteilend. Musikalisch auf Augenhöhe sind die Baritone der beiden Titelhelden Ronan Collett und Paul Armin Edelmann. Ebenbürtig und klangschön auch die beiden Soprane von Irina Popova als Ehefrau Sabine und Netta Or mit dramatischem Timbre als Tochter Marthe. Unterm Strich: Ein erfreulicher Start in die neue Opernsaison. \uh
2.(18 Uhr), 7., 14.+22.10.
„Alpenkönig und Menschenfeind“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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