Mit „Jenseits von Eden“ hat das Theater Aachen einen ganz schönen Brocken auf die Bühne gebracht: dreieinhalb Stunden entspinnt sich das Netz um Gut und Böse, Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge um drei Generationen der Familien Hamilton und Trask. Der epochale Roman John Steinbecks (1952) und der Film mit James Dean (1955) sorgten weltweit für Aufsehen, da traditionelle Geschlechterrollen ebenso infrage gestellt werden wie die Weitergabe von Schmerz und Verletzung an die nächste Generation. Neun Schauspieler schildern jetzt in Aachen in drei miteinander verwobenen Handlungssträngen die sich wiederholende Eskalation von physischer und psychischer Gewalt – fußend auf dem biblischen Kain und Abel-Thema. Generell sind die Rollenbilder vom Mann als Ernährer und starkem Macher und der Frau als Klischee zwischen Heiliger und Hure dem fundamental-religiös geprägten Gesellschaftsbild entsprungen. Kann sich der Großvater (Torsten Borm) noch auf Heldengeschichten aus dem Bürgerkrieg berufen und die Geschichte um den Tod seiner Frau verschleiern, eskaliert die Situation zwischen den Brüdern Adam (Christoph Förster) und Charles (Benedikt Voellmy) bereits in der Jugend. Die jungen Männer kämpfen um die Anerkennung ihres Vaters, der beide mit seinem ungerechten Verhalten und militärischem Drill nicht nur verletzt, sondern bricht. Als eine schwer misshandelte junge Frau auf der Farm auftaucht und von Adam gepflegt wird, geraten die Brüder erneut aneinander. Adam heiratet die mysteriöse Cathy, die sich mit seinem Bruder einlässt und kurz nach der Geburt der Zwillinge Aaron (Tim Czerwonatis) und Caleb (Alexander Wanat) verschwindet. In einem clever durchdachten Bühnenbild, einer tortenstückartig aufgebauten Drehbühne mit verschiedenen Räumen in zartrosa Tönen und mit spartanischem Mobiliar, erleben die Zuschauer, wie Cathy als Kate in der Nachbarstadt ein Bordell aufbaut, Adam mit seinen Depressionen kämpft und die beiden Brüder mit ihrer Familiengeschichte und deren Unstimmigkeiten konfrontiert werden. Und als sich die Geschichte wiederholt und Caleb um die Gunst des Vaters (jetzt Tim Knapper in Gestalt des älteren Adam) buhlt, der sich aber Aron zuwendet, möchte man in die Stille des Zuschauerraums rufen: „Stop! Macht nicht die gleichen Fehler wie die vorherige Generation. Brecht diese Muster einfach auf!“ Das Premierenpublikum bedenkt vor allem die Darstellerinnen der jungen Cathy (Marlina Adiodata Mitterhofer) und der reiferen Kate (Stefanie Rösner) mit verdientem Applaus für ihr intensives Spiel. Ambivalent bleibt die ruhig berichtende Rolle des Dieners Lee (hier sprang das ehemalige Ensemblemitglied Nicole Ernst für den verstorbenen Karl Walter Sprungala ein), als bindende Klammer hätte sie durchaus mehr (Stimm-)Gewicht vertragen. Und ein bisschen hätte die Spielzeit von dreieinhalb Stunden eingekürzt werden können, doch dann wären uns die gedoppelten Dialoge, die Begegnung der Lebenden mit den Verstorbenen, den Alten mit den Jungen verwehrt geblieben. Und noch lange nachdem die Drehbühne still stand, drehen sich die Gedanken weiter. \bep
1., 9. (18 Uhr), 23. (18 Uhr)+29.10.
„Jenseits von Eden“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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