Das Schlagzeug wummert, der Bühnenraum ist stockdunkel, in der Mitte sieht man schwach einen Kreis aus schwarzen Vorhängen um ein Krankenbett. „Was fällt Ihnen zu Pflege ein?“, fragt Stefanie Rösner plötzlich, riesig groß auf Vorhang und Leinwand projiziert. „Ein riesengroßer Scheißhaufen fällt mir da ein!“, beantwortet sie die Frage selbst. Und mit einem thematisch riesengroßen Scheißhaufen geht es weiter. Da ist die Krankenschwester, die fast panisch ihren Arbeitsalltag zwischen klingelnden, fast sterbenden Patienten, für die sie nicht genug Zeit hat, wiedergibt. Da ist die pflegende Ehefrau, die glaubt, mit Liebe wird ihr Mann es schon schaffen und dabei selbst fast zugrunde geht. Da ist eine andere Stationsschwester, die Einblick in rentable OP-Termine gibt und dabei innerlich hadert, weil ein todkrankes Kind fürs Krankenhaus nicht genug abwirft. Alles Dinge, die man irgendwie weiß, aber gerne verdrängt. Geht mich ja nix an, mag man denken. Doch es kann schneller gehen als man denkt. Während eine der beiden Darstellerinnen mit Inbrunst die Geschichte in das Mikro brüllt, vielleicht um das Schlagzeug zu übertönen, vielleicht aber auch, um einfach gehört zu werden, steht die andere in der Vorhangkabine und verrichtet immerzu die anfallenden Aufgaben: Hände desinfizieren, Maske anziehen, Patient waschen. Dann ein Wechsel: Nächste Geschichte, nächstes Patientenabarbeiten. Immer ähnlich, nie gleich, unfassbar bedrückend. Und dann sind die Schauspielerinnen sie selber: Stefanie Rösner und Marion Brodat, die eine Patientenverfügung durchgehen. Unangenehm. Kein Stoff für die Bühne? Doch, genau da gehört das Thema hin. Mit viel schauspielerischem Geschick und einer guten Inszenierung samt aufwendiger Recherchen wird „Die (Un)Entbehrlichen“ zu einem Theaterstück, das sich gewaschen hat. Einer Dokumentation ähnlich schaut das Publikum auf die unterschiedlichen Probleme im Pflegesystem. Man nimmt beiden Darstellerinnen ihre Rollen zu hundert Prozent ab, leidet mit einer jungen Frau, die sich aufgibt, um ihre Mutter zu pflegen, glaubt einer anderen, dass sie ihren Ehemann 17 Jahre wirklich aufopferungsvoll pflegte und nach dessen Tod nicht genug Rentenpunkte hat, um sich selber eine gute Pflege zu leisten. Aber was ist gute Pflege? Wenn der Lohn stimmt? Wenn sie legal ist? Wenn sie in Würde durchgeführt wird? Und wie sieht Pflege in Zukunft aus? Sind Menschen in Pflegesituationen vielleicht entbehrlich in der Gesellschaft, weil sie eine Last sind? Und wann muss man sich mit dem Thema befassen? Fragen, über Fragen, die aufkommen. Wichtige Fragen, mit viel Kraft auf die Bühne gebracht. Und das ist es doch, was Theater will: Fragen aufwerfen, zum Weiterdenken anregen. Da braucht es, wie man in diesem Fall sieht, keinen Bühnen-Klassiker zu, sondern ein alltägliches Thema. Verdienter, langer Applaus! ///Kira Wirtz
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