Pierre-Augustin Caron, später geadelter Marquis de Beaumarchais, war, neben einer Vielzahl anderer Talente und Professionen, ein zu seiner Zeit nicht unerfolgreicher Autor von Bühnenwerken.
Von ihm stammt eine in den Jahren 1775 bis 1792 entstandene Trilogie über den pfiffigen Barbier Figaro, deren erster Teil später als „Barbiere di Siviglia“ von Rossini vertont wurde. Der zweite Teil mit dem Titel „La folle journée ou Le mariage de Figaro“ diente dem Librettisten Lorenzo da Ponte als Grundlage für die 1786 auf dem Höhepunkt von Mozarts Schaffen uraufgeführte Oper „Le nozze di Figaro“. Durchweht vom Geist der Aufklärung und der Revolution thematisierte das Stück die Abschaffung von Adelsprivilegien und die Gleichstellung der Stände, weshalb es in Frankreich der Zensur zum Opfer fiel. Kaiser Joseph II., in dessen Diensten Mozart stand, erwies sich jedoch als toleranter und gab grünes Licht für die Aufführung. Welch ein Glück für die Nachwelt!
Nach dem digitalen Zeitmesser, der oberhalb der Bühne des Aachener Theaters aufleuchtet, schreiben wir den 30.10.2022, 8 Uhr. Wir befinden uns also im Hier und Jetzt, als der Erste Kapellmeister Chanming Chung den Taktstock zur fulminanten Ouvertüre hebt. Die Regie erlaubt uns die kleine Indiskretion für einen Blick ins stylische Schlafzimmer der jungen gräflichen Eheleute Almaviva, in dem sich aber ziemliche Tristesse breitgemacht hat. Der Graf hat sich bereits nach kurzer Ehezeit zum unverbesserlichen Schürzenjäger entwickelt und bedauert, dass er einst auf sein Feudalrecht der ersten Nacht verzichtet hat, vor allem, weil für den Abend die Hochzeit der Kammerzofe Susanna mit Figaro geplant ist, die erste Nacht also in greifbarer Nähe liegt. Susanna hat somit jeden Grund, sich unwohl zu fühlen bei dem Gedanken, dass ihre Ehewohnung direkt neben den gräflichen Räumen liegen soll. Endlich erkennt auch Figaro die darin liegende Gefahr und beschließt, den Grafen aufs Kreuz zu legen. Der folle journée, der verrückte Tag, mit Irrungen und Wirrungen, Täuschungen und Enttäuschungen, Überraschungen und Missverständnissen und, ja, auch einer Hochzeit, endet schließlich mit dem „contessa perdono“ des Grafen – schöner und berührender hat noch nie jemand um Vergebung gebeten.
Das Premierenpublikum im ausverkauften Aachener Theater erlebt eine hervorragend gelungene Inszenierung, welche die dreieinhalbstündige Spieldauer (inkl. Pause) – leider – wie im Flug vergehen lässt. Schnell findet das Orchester die richtige Balance zu den Solisten auf der Bühne, die musikalisch wie darstellerisch gleichermaßen begeistern können. Über die gesanglichen Qualitäten von Suzanne Jerosme ist schon vieles gesagt worden. Ihre hinreißende Susanna verfügt über viel Charme und Natürlichkeit. Großen Eindruck hinterlässt auch der Auftritt der jungen ukrainischen Sopranistin Anastasiia Povazhna. Als Contessa Almaviva, die häufig von erfahreneren Solistinnen verkörpert wird, überstrahlt sie alles. Ihre große Arie „Dove sono i bei momenti“ ist zum Dahinschmelzen. Ein bemerkenswertes Talent! Cherubino ist der Page des Grafen, Spezialist für Kalamitäten aller Art und stets zur falschen Zeit am falschen Ort. Die entzückende Partie einer Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt, avanciert in den meisten Inszenierungen des Figaro zum Publikumsliebling. Dies ist zweifellos auch in Aachen der Fall, was die Leistung von Fanny Lustaud in der Rolle aber keineswegs relativiert. Ihr Mezzosopran ist samtig-warm und hat eine profunde Tiefe. Und Spielwitz besitzt sie reichlich. Der zur Premiere leider erkrankte Ronan Collett, der für die Rolle des Grafen Almaviva vorgesehen war, wurde von dem britischen Bariton Henry Neill souverän vertreten. Gefallen kann auch der bodenständige Sreten Manojlovic als Figaro.
Schnörkellos und fern von Klamauk überzeugt Mario Corradis Aachener „Figaro“. Auf der von Italo Grassi gestalteten Bühne entstehen wirkungskräftige Bilder, vor allem im 4. Akt durch eine sensible Lichtführung von Dirk Sarach-Craig. Im Graben hält Chanming Chung die Zügel zum Sinfonieorchester Aachen straff, der Wechsel von Rezitativen und Arien erfolgt zügig, was dem Erhalt der Spannung ausgesprochen zuträglich ist.
22 Uhr zeigt der Zeitmesser auf der Bühne zum Schluss. Nach zeitgerafften 14 Stunden endet der verrückte Tag versöhnlich mit einer Aufforderung zum Feiern – corriam tutti a festeggiar. Es ist in der Tat ein großes Fest – auf beiden Seiten des Orchestergrabens. // Ulrich Herzog
Die Besetzung
Graf Almaviva: Ronan Collett
Gräfin Almaviva: Anastasiia Povazhna
Susanna, deren Kammermädchen: Jelena Rakic / Suzanne Jerosme
Figaro, Kammerdiener des Grafen: Sreten Manojlovic
Cherubino, Page des Grafen: Fanny Lustaud
Marcellina: Irina Popova
Basilio, Musikmeister: Marcel Oleniecki
Don Curzio, Richter: Hans Schaapkens
Bartolo, Arzt aus Sevilla: Pawel Lawreszuk
Antonio, Gärtner des Grafen: Vasilis Tsanaktsidis
Barbarina, seine Tochter: Julie Vercauteren
Due Donne: Marija Grinevska
WEITEREMPFEHLEN