Rappelvoll ist der Theatervorplatz bei der Premier von „Tyll“. Drei kleine Bühnenpodeste sind aufgebaut, die Zuschauer stehen locker drumherum. Laute Musik der Band Katorzt setzt ein. Mit Instrumenten ziehen sie durchs Publikum. Das Ensemble, mit Masken, sodass man die einzelnen Darsteller nicht voneinander unterscheiden kann, mischen sich unter sie, bevölkern die Bühnen. Proklamieren ihre Situation. Die Stimmung ist trotz der mittelalterlichen Jahrmarkt-Klänge bedrückend. Die Darsteller beklagen Hunger, Kriegsangst. „Niemand ist mehr sicher!“ brüllt einer. „Es gibt kein Vertrauen mehr!“, jammert die andere. „Wir wollen Frieden. Wir haben Hunger!“, rufen sie zusammen. So, oder zumindest so ähnlich, wird es auf einem Platz im Mittelalter geklungen und ausgesehen haben.
Dann gibt es für den tosenden Mopp einen Lichtblick: „Der Tyll ist da!“. Und da erscheint Björn Jacobsen als rot gekleideter Narr. „Der Tyll ist einer, der keine Angst hat. Er geht auf dem Seil, wie andere auf der Welt!“ Und so zieht es sich durch das Stück. Das Leben des Tyll während des Dreißigjährigen Krieges wird – nicht chronologisch – erzählt. Sein Gegenspieler, der Tod (Ken Bridgen), ist ihm immer dicht auf den Fersen, bekommt ihn aber nicht. Tyll turnt über das Seil vor dem Theater, nutzt seine Späßchen als Waffe. Seine Begleiterin Nele (Tina Schorcht) singt und tanzt zwischen dem Publikum.
Nach ungefähr 40 Minuten geht es hinein ins Theater. Das Bühnenbild von Elisabeth Pedross greift die zaunartigen Podeste von draußen wieder auf. Hölzerne Stadtmauern, Kriegsgräben, Stallwände. Auf dem Bühnenboden liegt Torf, der die seidenen Gewänder der Darsteller schnell mit braunem Schmutz durchzieht. Das knapp 20-köpfige Ensemble schlüpft in viele Rollen, ist mal Adliger, mal Bettler, mal Geistlicher.
Die Kostüme, verantwortlich ist Sandra Münchow, passend zu jeder Rolle: Der Adel in weißen Pumphosen, das Volk in Lumpen. Fast vier Stunden zieht sich das Historienspektakel, zeigt Elend des einzelnen und des Volks. Nimmt Adel und Klerus auf die Schippe, ist mal laut und beschwingt, dann ernst und beklemmend. Inquisition,Krieg, Folterer und Tod, Hunger, Armut, Teilmans hat vor nichts zurückgeschreckt, setzt alle Episoden aus Kehlmanns Roman um. Karsten Nordhausen, Toshi Trebess und Stefan Schwartz als Band Katortz begleiten das gesamte Stück mit ihrer Musik, fangen die Stimmung darin auf und unterstützen sie. Es ist ein langer Theaterabend, der sich allerdings lohnt. Hier gibt es unendlich viel zu entdecken. Nachdenklich verlässt man die Inszenierung. Wie hätte sich der Krieg und mit ihm das Elend verhindern lassen? Was kann man tun, um ein solches Schicksal in der Zukunft zu verhindern? Der Applaus ist dennoch tosend. Alle Darsteller haben eine Spitzenleistung erbracht, Teilmans eine wunderbare letzte Inszenierung am Theater Aachen geliefert. Bravo. kw
„Tyll“
17.30/19.30 Uhr, Theater Aachen
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