Von Richard Mariaux
Natürlich wusste man Bescheid. Das Publikum der Aachener Premiere von Elfriede Jelineks Stück „Am Königsweg“ war sich von Anfang an vollkommen sicher: Hier dreht sich alles mehr oder weniger um Trump, oder?
Jelineks sprachmächtiger literarischer „Stream of Consciousness“ ist natürlich gleichzeitig ein „Preaching to the Converted“, auch wenn sein Name zu keinem Zeitpunkt der Aufführung oder in der Urfassung des knapp 100-seitigen, eng beschriebenen Theatermanuskriptes genannt wird.
Wie bereits vor ihm Kollegen an deutschen Theatern in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Heidelberg oder dem Theater an der Ruhr hatte auch in Aachen Regisseur Christian von Treskow jedwede Freiheit, dieses Stück in hier etwas mehr als zwei Stunden Spieldauer zu inszenieren. Keine Vorgaben, keine Regieanweisungen, weder zu Personen noch zu Bühnenbild oder Musik. Nichts.
Diese Steilvorlage der absoluten Freiheit nutzt Treskow auf hervorragende Art und Weise. Die Aachener Inszenierung erschlägt beinahe mit wuchtigen Bildern und einem Text-Crescendo, welches die acht Darsteller in aberwitzigen Rollenentwürfen abfeuern.
Jelineks modulare Textassoziationsmaschine gibt den Rahmen vor – Versprecher, Kalauer, antike Mythen und Popkultur. Über allem steht drohend wie ein Damoklesschwert die derzeit zerfallende Gesellschaft in vielen demokratischen Industriegesellschaften – grelle Chöre verspritzen Gift – Projektionen der eigenen Gewaltbereitschaft, Neid, Fremdenhass, Spam, Fake-News-Gläubigkeit im „Gesichtsbuch“ und dergleichen. Das mediale Gezwitscher des Königs lässt auch die blinde Seherin (Marion Bordat) an ihrer Urteilsfähigkeit zweifeln: „Sie sind meine ultimative Kränkung, Herr König.“ Jelinek lässt in ihrem Stück keinen Zweifel an der Verachtung („Wie soll man Dummheit erfassen?“) für den König, schließt aber seine Untertanen, die ihn schließlich gewählt haben, mit ein: „Falls Sie Ihre Weltanschauung suchen, ich habe sie auch nicht“. Somit ist Trump letztlich nur ein Platzhalter für unsere Machtlosigkeit in Zeiten gespaltener Gesellschaften.
Eine ruhige Komponente erzielt die Aachener Inszenierung mit einer – die reiz-überflutenden Wort- und Bilderkaskaden unterbrechenden – sonoren Vorleserstimme, die Jelineksche Textpassagen aus dem Off spricht. Dazu gesellen sich wie eingefroren wirkende häusliche Szenen auf einer langsam dahingleitenden Drehbühne; gespenstisch wirkende, mit weißen Masken versehene Personen-Tableaus, die der mäandernden Textflut des Stücks eine suggestive stille Kraft entgegensetzen.
In den rasant inszenierten Szenen schlüpfen die acht Schauspieler hingegen in eine Vielzahl, die Perspektive wechselnde Rollen, die keinerlei stringentem Handlungsrahmen folgen.
Ganz ausgezeichnet der König (Alexander Wanat) mit seinen durchgeknallten Dance-Moves, die gesichts-gestrafften ätzenden Frauen (Luana Bellinghausen, Petya Alabozova) oder der den König analysierende groteske Goldfischschwarm hinter Glas (Philipp Manuel Rothkopf, Benedikt Voellmy). Und natürlich werden die geschändeten, missbrauchten Frauen des Königs hier in Männerrollen gesteckt: Tim Knapper, Alexander Wanat, Julian Koechelin und Benedikt Voellmy in Unterwäsche, mit blonder Langhaarperücke und aufgeschnallten Brüsten.
Bemerkenswert sind auch Ausstattung (Dorien Thomsen, Sandra Linde), die elektronische Theatermusik (Malcolm Kemp) sowie die Videoprojektionen innerhalb der Drehbühne (Lucas Fois). Letzterer lässt eine riesige Trump-Maske auf einer Projektionsfläche sprechen und das Publikum gruseln. Lang anhaltender Schlussapplaus belohnte diesen Parforceritt durch Jelineks herausfordernden Freibrief. \
3., 9., 13. + 21.2.
„Am Königsweg“
20 Uhr, Bühne, Theater Aachener
Am Rande
„Da war er nun also: ein mit Beleidigungen um sich werfender Komiker mit lächerlich künstlich gebräuntem Teint als Präsidentschaftskandidat. Und erst das Haar: Gold gefärbt wie das eines Clowns in einer Schmierenkomödie, schamlos falsch und wie von einem Konditor in Form getrimmt.“ (Kurt Andersen, „Fantasyland“) \
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