Von Richard Mariaux
Darf man über Hitler lachen? Diese Frage beantwortete der aus Deutschland emigrierte Regisseur Ernst Lubitsch bereits im Jahre 1942 positiv, als er seine bitterböse Komödie „Sein oder Nichtsein“ im US-amerikanischen Exil mit Hollywood-Größen wie Carole Lombard drehte. Das Theater Aachen holt mit viel Finesse diese Polit-Farce auf die Große Bühne des Hauses.
„Sein oder Nichtsein“, diese existenzielle Frage aus dem „Hamlet“-Monolog spielt eine zentrale Rolle im Stück: Eine polnische Theatergruppe feilt neben dem auf dem Spielplan stehenden „Hamlet“ an ihrer neuesten Inszenierung, einer Satire namens „Gestapo“. Keiner der Schauspieler ahnt zunächst, dass erstens das polnische Außenministerium ihnen diese Uraufführung aus politischen Gründen untersagen wird, und dass sie zweitens in ihren Nazi-Kostümen später noch eine reale Chance erhalten werden, um Leben oder Tod zu spielen.
Unter der freien Regie von Martin Schulze, der 2018 bereits in Aachen „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ inszenierte, eröffnete das ursprüngliche Filmskript des ungarischen Dramatikers Melchior Lengyel unter dem Titel „Noch ist Polen nicht verloren“ in einer knapp zweieinhalbstündigen Bühnenfassung die Spielzeit 2019/20 – und erinnert gleichzeitig an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren.
Ohne Zweifel gehört Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ zu einer der besten Filmkomödien aller Zeiten, die trotz ihres historischen Bezugs über allen Zeitgeist erhaben ist: Der Wortwitz der Dialoge, die temporeiche Rasanz der wechselnden Bühnenschauplätze zwischen Theaterbühne, Garderobe sowie dem echten und falschen Nazi-Hauptquartier sind für die rund ein Dutzend agierenden Schauspielerinnen und Schauspieler am Theater Aachen eine Steilvorlage für enthemmtes Spiel, das auch kleine übertriebene Spitzen in den Boulevard mit einschließt.
Während der „Hamlet“-Darsteller Josef Tura, eitel und wirkungsvoll überzogen dargestellt von Tim Knapper, mit seinem minutenlangen Monolog auf der Bühne steht, bändelt seine Schauspielkollegin und Ehefrau Maria Tura mit dem jungen polnischen Flieger Stasnik (Julian Koechlin) in ihrer Garderobe an. Warum der junge Mann aus der zweiten Reihe Abend für Abend beim Hamlet-Monolog den Platz verlässt, weiß der an seinem Ego und seiner Schauspielkunst daraufhin zweifelnde Tura erst einmal nicht. Als dann die deutsche Wehrmacht brutal in Polen einmarschiert, entpuppt sich der polnische Flieger als zum heimatlichen Widerstand zwischen London und Warschau zugehörig. Die ganze Theatertruppe muss plötzlich einen Verrat verhindern, der die enttarnten Akteure des Untergrunds an das polnische Hauptquartier der Nazis ausliefern würde.
Als attraktive Diva ist es Maria Tura ein Leichtes, den braunen Feind zu becircen. Stefanie Rösner ist hier nicht nur ob ihrer Rolle eine großartige schauspielerische Besetzung. Neben Hitler-Doppelgängern, falschen und richtigen Nazischergen spielt der gehörnte Josef Tura jetzt die Rolle seines Lebens als vermeintlicher Verräter und Nazispion Professor Siletzky. Als die irresten Komödianten entpuppen sich vor allem die kriecherischen Nazis: der am Standort mit brutalster Hand agierende Obersturmbannführer Erhard (Torsten Borm) und sein tumber Befehlsempfänger Schulz (Tommy Wiesner), dem Erhard für seine eigenen blödsinnigen Verfehlungen alles in die Schuhe schiebt – sein gebrülltes „Schulz!!!“ wird – wie im Film – zum Runninggag des Stücks.
„Noch ist Polen nicht verloren“, übrigens die erste Zeile der polnischen Nationalhymne, ist eine überzeugende Adaption des Filmstoffs für die Bühnenbretter des Theater Aachens. Gelungen sind auch die wechselnden Szenenvorhänge samt dramatischer Instrumentalmusik zwischen operettenhaften Klavier- und – bisweilen dissonanten – unheilschwangeren Orchesterklängen (Malcolm Kemp). Bühnenbild und Kostüme (Pia Maria Mackert) setzen grelle bis düstere Akzente.
Lang anhaltender verdienter Schlussapplaus! \
Kleiner Skandal
Trotz begeisterter deutscher Filmkritiken benötigte benötigte die US-amerikanische Film-Importfirma mehr als anderthalb Jahre einen Verleiher für „To be or not to be“ in Deutschland zu finden. Der Hamburger Verleih Deutsche Film Hansa erklärte sich schließlich 1960 bereit, den Lubitsch-Film in die westdeutschen Kinos zu bringen. \
8., 17.+30.11.
„Noch ist Polen nicht verloren“
20 Uhr, Bühne, Theater Aachen
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
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