Von Dirk Tölke
In kompakten Führungszeiträumen oder individueller Geschwindigkeit kann man die ausgewählten Bestände eines Museums durchstreifen. Dabei erlebt man Staunen, Irritation, Lust an der Vielfalt der Welt, Komplexitätserfahrung, Gänsehaut, Verzückung, Abscheu, Erkenntnisgewinn und ständige Erprobung von Toleranz gegenüber den unzähligen Blickwinkeln, Haltungen und kombinatorischen Erfindungen.
Ein Museum ist eine Schnittstelle, es verbindet Betrachtende mit unterschiedlichen Weltkonzepten, denn in der individuellen Form seiner Räumlichkeit werden Menschen der Gegenwart mit historischen und zeitgenössischen Werken konfrontiert, die als Einzelobjekt und Gesamtkomplex ein Eintauchen in die Denkweise und bildnerische Tätigkeit anderer Zeitepochen, Regionen und Menschen ermöglicht, bzw. kuratorisch strukturiert. Ein Ort der Kultur-Teilhabe.
Lokales Kunstgeschehen
Das Begas-Haus ist dafür in der Region Heinsberg zuständig und muss, wie jedes andere Museum mit den vorhandenen Sammlungsbeständen und regionalen Bezügen arbeiten. Wer sonst würde sich um das lokale Kunstgeschehen kümmern? Es ist der Anknüpfungspunkt für die Bevölkerung und Pflegestätte überregionaler Wirkungen. Dazu zählt die für Heinsberg herausragende, über vier Generationen von 1794-1997 in Berlin als Dynastie mit Zenit und Niedergang wirkende Malerfamilie Begas.
Carl Joseph Begas d.Ä. wurde 1794 in Heinsberg geboren, Carl Begas gehörte um 1900 zu den bekanntesten Deutschen weltweit. Auch in Berlin gibt es eine solche museumsdidaktisch klug aufbereitete Auseinandersetzung nicht. Für jedes Alter werden hier Zusammenhänge sichtbar und erfahrbar. Man kann durch Stammbäume scrollen, Literaturquellen anhören, auf die sich Gemäldeinhalte beziehen. Man kann biedermeierliche und neobarocke Wohnatmosphäre erahnen, Zeitdokumente in Schubladen studieren, akademische Ausbildungen nachvollziehen und sich darin selbst erproben. Die Rolle der Frauen oder die Vermarktungsstrategien künstlerischer Vorlagen lassen sich einschätzen und verbinden aktuelle Zeitfragen mit den Lösungsansätzen der Vergangenheit. Auch die lokale Vergangenheit ist speziell. Nur hier duldete die Reformation fünf Jahrzehnte freie Glaubensinterpretationen. Eine schöne Entdeckungsreise durch eine gut aufbereitete Geschichte.
Zerzauste Ordnung
An ihrem Ende gelangt man an eine neue Schnittstelle, die zur Moderne und zur Ausstellung „Schnittstellen“ von Birgit König, deren einzelne Bilder wiederum Schnittstellen in eine andere Welt der Empfindung und Wahrnehmung sind. Birgit König legt von Hand gestriffene Farbbahnen rechtwinklig aufeinander. Die Pinselführung dieser auf Lücke gesetzten Überlagerungsstreifen erzeugt einen Schachtelraum von ganz eigenem stabil schwebendem Gefüge.
Es ist eine rhythmisierte Struktur, aber kein Muster, kein Raster, kein geschlossenes Gitter und kein Gewebe. Ihr strukturiert zerzaustes Erscheinungsbild ordnet dieses freie Schichtgefüge, zwingt es aber nicht in eine feste Form. Ohne etwas wiederzuerkennen, taucht man in eine von Farbe, Tiefe und Struktur geprägte Sphäre und wird auf nichts außerhalb des Bildes verwiesen. Man begegnet Farbkontrasten, leuchtstarken erdig irrealen Farbspuren, strukturierten Raum-Inkontinuen, sanfter Durchdringungsdynamik und freundlich präsenter Malerei von ausgewogener Sogkraft. Strickte stoffliche Bilderkundungen, deren Wirkung aus beharrlicher Addition im Werkprozess entsteht. \
bis 15.1.
Birgit König – „Schnittstellen“
Begas-Haus, Museum für Kunst- und Regionalgeschichte Heinsberg
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