Es ist eine Rückschau. Edgar und Roman sind Brüder, elf und zwölf Jahre alt. Sie leben in ihrem Dorf am Niederrhein, genauer noch bei Mönchengladbach, in den 70er Jahren. Edgar erzählt aus dem Leben; Roman, sein älterer Bruder, ist sein Held. Es ist eine Zeit zwischen Aktionismus und Stillstand. Kleine Geschichten erzählen aus dem Leben der Jungen. Zum Beispiel wenn Borussia MG gegen Schalke beim Fußball haushoch gewinnt, sind nicht nur die Jungs aus dem Häuschen.
Nein, das Ganze wird zum Fest der Freiheit, der dörfischen Rebellion. Sonst ist nicht viel los in der Provinz. Zumindest bis der Vater sich verliebt und die Regel im Dorf bricht. Die Regel, dass Ehen nicht geschieden werden. In die örtliche Tierärztin hat der Tortenbäcker sich verguckt und die Mutter schweigt und wartet, dass er vielleicht zurückkehrt. Die Brüder sind machtlos, Edgar spürt den Schmerz der Mutter, kann ihre Gedanken fast hören; Roman kann mit der lethargischen Person nichts anfangen, rebelliert.
Als die Ehe der Eltern letztlich zerbricht, der Vater das Haus verlässt und die Mutter dem Alkohol verfällt, beginnt das Zerstörungswerk an den Brüdern, nachdem der Ordnungshüter des Dorfes und das dörfliche Jugendamt die beiden Jungs ins Heim, „Den Gnadenhof“ verfrachtet, der seine Nazivergangenheit in den 70er Jahren noch nicht abgelegt hat: Willkür, Erniedrigung, Zwangsarbeit, Mangelernährung und Vernachlässigung. Die Brüder erkennen, dass trotz scheinbar öffentlichem Wunsch nach Freiheit die Ideologie des NS-Regimes in der dörflichen Idylle überlebt hat, als hätte es das Ende des Krieges nicht gegeben.
Im Grunde folgt ein Schicksalsschlag auf den nächsten, persönliche Tiefpunkte werden stetig noch tiefer, die Schuld der Eltern und der älteren Generation holt die Brüder ein und man fragt sich: „Wer kann das ertragen?!“. Aber statt sich zu sagen: „Mir reicht‘s, bis hierhin und nicht weiter“, legt man das Buch nicht aus der Hand. Geschickt erzählt Willi Achten sachlich, doch poetisch, fesselnd, aber undramatisch. Trotz der Schwere des Themas ist Achten sprachlich ein leichtes Lesevergnügen gelungen.
Eingepackt hat er das Ganze in einen Soundtrack dieser Generation, von Dylan bis Heino.
Geschrieben ist der Roman in der Ich-Form, aus der Sicht des Jüngeren der beiden Brüder. Das muss man mögen oder eben nicht. \ kw
Willi Achten
„Die wir liebten“
Piper Verlag, 384 Seiten, 22 Euro
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