Ein kaltgeschmiedeter Buchtitel, der so heftig im Kontrast zu seinem Debütroman „Faserland“ (1995) steht, wie Christian Kracht es vermag, Fiktion und Realitat so lange zu vertauschen, bis die Google-Maschine heiß lauft. Während das Debüt bloß der Schwester gewidmet ist, ?nden sich in „Eurotrash“ Krachts Frau, Tochter, Schwester und Mutter als Gewidmete wieder. Und natürlich ist das genauso beabsichtigt, wie die Tatsache, dass „Faserland“ in Zürich endet, wo das aktuelle Buch seinen Anfang nimmt, „diese Stadt der Angeber und der Aufschneider und der Erniedrigung“.
Kracht begibt sich als Ich-Erzähler mit seiner psychiatrisch-labilen Mutter auf eine sprachgewaltige Reise durch die Schweiz, biogra?sche Stationen wie Saanen bei Gstaad, Ralph Giordano, der Genfer See, Yeats-Gedichte und Zürich wechseln sich in wildem Wortfeuer mit erfundenen und meist humorvollen Fantastereien ab. „Mir fehlte also die Erklärung des größeren Zusammenhanges der Umstände meiner Familie“, heißt es anfänglich.
Wer die Schnitzeljagd aus geschickt gestreuten Finten und Doppeldeutigkeiten über hat, braucht sich auch nicht an dem inhaltlichen Spannungsbogen aufhalten. Dort kaut Kracht auf einigen dunklen Ecken in seinem Gedächtnis herum, dem donnernden Nazi-Opa, dem sexuellen Missbrauch, den seine Mutter imJahr 1949, und der Ich-Erzähler selbst in einem kanadischen Internat ertragen mussten, und nicht zuletzt dem vermaledeiten Geld. 600.000 Franken tragen Mutter und Sohn ins Taxi, in einer Plastiktüte, auf dem Roadtrip in die Vergangenheit, der längst der jugendlichen Unruhe des Debüts entwachsen ist. „Meine Güte, dieses Leben, was für ein per?des, elendes, kümmerliches Dramolett es doch war, dachte ich“, schreibt Kracht, und wirkt kurz aufrichtig nüchtern.
Denn sein bisheriges Leben, Oder das, was wir darüber zu wissen glauben sollen, musste durchaus einige Tiefschläge einstecken, Geld allein macht noch immer nicht glücklich. Dass sich Kracht hier, in seiner typisch halb-fabulierenden
Art seiner Vergangenheit stellt, ist gleichermaßen Erzählstoff wie Selbsttherapie. Und nach so vielen kreativen, fantastischen Büchern zwischen „Faserland“ und „Eurotrash“ ist das durchaus kein Malus. Sprachlich ist auch dieser kurzweilige Roman wieder eine uneingeschränkte Freude, eine eloquente, feinhumorige Abrechnung mit den männlichen Vorfahren und eine streichelnde Verneigung vor den Frauen der Familie. \ Klaas Tigchelaar
Christian Kracht
„Eurotrash“
Kiepenheuer & Witsch
224 Seiten
22 Euro
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