Die Kölner Musik- und Kunstszene als „oral history“ in einem Buch? Warum nicht, zu sehr vermischten sich seit Beginn der 80er bis Mitte der 90er die verschiedenen Szenen in Köln zwischen Belgischem Viertel und der Kölner Südstadt. Hotspots waren damals die unzähligen Szenekneipen und Clubs, die in diesem Buch ebenso gewürdigt werden. Denn die Kölner (und Zugezogenen) sind ein geselliges Völkchen! Die wichtigsten Ideen, Manifeste, Kooperationen sowie das Zwischengeschlechtliche begannen häufig bei einem Kölsch an der Theke …
„Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980-1995“ ist das Buch untertitelt und passenderweise im renommierten Kölner Buchverlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Der damalige junge Lektor und spätere Verleger Helge Malchow war selbst Teil dieser Szene. Er veröffentlichte bei KiWi Werke von Peter Glaser und Joachim Lottmann sowie Essays von Diedrich Diederichsen und musikprofunde Bücher von Hans Nieswandt und weiteren Spex-Autoren. Auch die neue deutsche Pop-Literatur fand in Teilen im Rheinland statt.
Es ist unbestreitbar, dass die Musik- und später breiter aufgestellte Kulturzeitschrift „Spex“ sowie die Kunst- und Galerienszene die Domstadt für zumindest diese knapp 15 Jahre als „place to be“ auf die Landkarte brachten. Bis Berlin zur Hauptstadt wurde und die ersten Strippenzieher ihre rheinischen Zelte abbrachen.
Autorin Gisa Alexandra Funk und Autor Gregor Schwering leben in Köln. Vor allen Dingen Schwering hinterlässt im Buch in romanhaften Fragmenten seine biografischen Spuren innerhalb der Szene, die dem Buch nicht unbedingt guttun. Die O-Töne der damaligen Mitmischer auf der Szene verlieren deutlich an Raum, wenn Funk/Schwering zu sehr mit dozierenden Erläuterungen – was ist Punk, wie funktioniert Techno, wer sozialisiert sich mit welcher Szene und warum? – ins Geschehen eingreifen. Begriffe und geschichtliche Eckdaten sind einer informierten Leserschaft längst bekannt, sonst würden sie das Buch gar nicht erst zur Hand nehmen.
Das Buch gliedert sich in vier Teile: Neben der Geschichte der Zeitschrift „Spex“ wird die „Ausgehstadt“ Köln dokumentiert. Die Geburt des „Minimal Techno“ und die Gründung des Labels Kompakt gehört mit in diese Jahre. Im letzten Kapitel offenbart die Kunststadt Köln ihre Bedeutung – als Erfinderin der weltweit ersten Kunstmesse, mit den jungen Wilden der „Mülheimer Freiheit“, die sogar Martin Kippenberger aus dem damaligen Westberlin herbeieilen lässt. Nicht zu vergessen, Kölner Kunstgalerien wie Hetzler, Sprüth, Zwirner, Maenz, Schippers u.a., die auch in New York für Gesprächsstoff sorgten.
„Wir waren hochgemute Nichtskönner“ bleibt trotz einiger Schwächen ein lesenswertes Buch. Wer sich in Aachen zur damaligen Zeit in der Musik- oder Kunstszene herumtrieb, kommt um dieses Buch nicht herum. Zu nah waren die Wege zwischen beiden Städten. Zu oft war man auf dem gleichen angesagten Konzert, der Vernissage oder stand mit an einem lautstark frequentierten Kölner Tresen.
Auch in Aachen explodierte damals eine neue und frische Ausgehszene. In Clubs und Diskotheken wie dem Metropol (heute: Nox), dem UKW, KaDeWe, Ritz (heute: Nightlife), dem schon lange geschlossenen Carlton in der Elisabethstraße oder – im Uni-Umfeld – dem (damaligen) Theatersaal in der Mensa Turmstraße spielten internationale Musikacts, die für eine kurze Zeitspanne Aachen regelmäßig auf den bundesweiten Tourneekalender brachten. Sporadische Hallenkonzerte im Eurogress blieben hier allerdings außen vor. Mit dabei waren z.B. Sonic Youth, Gang Of 4, Trio, Einstürzende Neubauten, Die Toten Hosen, Nico, Curtis Mayfield, Bobby Womack, Element Of Crime, Lee ,Scratch‘ Perry, Swans, Die Goldenen Zitronen, The Sisters Of Mercy, Gil Scott-Heron, Wayne Shorter, Chet Baker, Front 242, The Go-Betweens, The Fall, Die Ärzte, Simply Red, Billy Cobham, Manu Dibango … Rauschhafte Jahre in Aachen! (Richard Mariaux)
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