Die US-Amerikanerin Miranda July ist Regisseurin, Drehbuchautorin, Schau-spielerin, Performancekünstlerin, Musikerin und Schriftstellerin. Man kann sich ihre vielfältige Arbeit nie so wirklich ohne die besondere Person von Miranda July herself vorstellen. Für viele gilt sie als die personifizierte Pop-Kultur unter den Feministinnen der Gegenwart. Ihr Leben fließt in ihre Kunst, stellt es parallel mit aus, wie beispielsweise in ihrem skurrilen Debütfilm „Ich und Du und alle, die wir kennen“ (2006), für den sie als Regisseurin nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch direkt die Hauptrolle – als eine Künstlerin (!) – übernahm.
Daher nicht ganz unerwartet nutzt sie persönliche Umstände auch als Blaupause für ihren neuen Roman „Auf allen Vieren“. Es ist die erotische Coming-of-Middle-Age-Geschichte einer Künstlerin, die mit ihrem Alter und ihrer familiären Umgebung hadert. Ihre Kunst liegt ideenlos brach, ihr Lebens-umfeld in Los Angeles sind der Ehemann Harris, Musikproduzent, sowie eine als lebensbedrohtes Frühchen auf die Welt gekommene non-binäre Person. Mit Fokus auf ihrer unumstößlichen Liebe zu dem gemeinsamen Kind namens Sam, welches konsequent mit einem geschlechtsneutralen Pronomen beschrieben wird, erzählt July dieses komplizierte Beziehungsgeflecht.
Um abzuschalten, kommt sie eines Tages auf die Idee, 14 Tage lang mit dem Auto alleine eine Reise quer durch die USA nach New York zu unternehmen. Nach ein paar Kilometern außerhalb L.A.s ist es bereits am ersten Tag mit der Reise vorbei. An einer Tankstelle wäscht ihr ein junger Mann die Windschutzscheibe. Die Ich-Erzählerin verfällt in einen vagen Taumel und eine schräge Fixierung auf diesen jungen Mann namens Davey.
Leider ist Davey verheiratet, doch sie mietet sich für zwei Wochen in ein schäbiges Zimmer in einem Motel am Ort ein und lässt sich dieses von einer Innenarchitektin (Daveys Ehefrau!) für viel Geld zu einer Art Pariser Art Deco-Salon aufhübschen. Diese Ehefrau erfährt nichts von ihrer Beziehung zu Davey. Auch die folgenden Telefonate der Protagonistin mit Mann und Kind über den Fortgang ihrer Reise bleiben von kleinen Lügen verdunkelt. Denn diese perfekt gestaltete Rauminstallation soll ihr Liebesnest werden, aber ihre Wunschprojektion bleibt in den folgenden zwei Wochen unerfüllt. Zwar kommt man sich näher und lässt neckischen Spielchen seinen Lauf, doch im letzten Moment entzieht sich Davey den erotischen Momenten, die einer sexuellen Handlung vorangehen. So hadert unsere 45-jährige Protagonistin mit dem Altersunterschied und der Vorstellung, bald die 50 erreicht zu haben.
Und dann ist auch beinahe Schluss mit lustig. Der in den ersten zwei Dritteln wirklich sehr witzige Roman – ihr absurder Humor ist eine große Stärke in allen Kunstgattungen Julys – wird im dritten Teil von einem ernsteren Unterton abgelöst. Es geht um die Perimenopause, die Übergangszeit zur vollständigen Menopause, die viele Frauen ab Mitte 40 betrifft und über die, so July, zu wenig geschrieben wird: „Die Heldin von „All Fours“ (so der Originaltitel) ist keine Frau in einer Midlife-Crisis, sondern – im epischen, Dante-esken Sinne – eine Frau in der ´Mitte ihres Lebens´“, so Miranda July. Sie hat vor dem Verfassen dieses Romans viele Gespräche mit engen Freundinnen und befreundeten Künstlerinnen geführt. Gespräche über Ehe und Sex, verminderte Libido sowie den Frust, dass die Sexualhormone in der Menopause radikal abfallen, während der Testosteron-Wert der Männer eher im langsamen Sinkflug endet. Diese „Sexualhormone im Verlauf des Lebens“ bildet sie sogar mit einem Diagramm im Buch ab.
Es ist nicht alleine das tragikomische Verlangen einer überforderten Frau in der Perimenopause nach einem fixen Tagtraum namens Davey, das letztlich ihre Ehe in eine Schieflage versetzt. Das Buch liest sich wie die Auflösung einer vormals jungen Frau in ein sich selbst unbekanntes Wesen. Es ist ein kartenloser, unbekannter, mysteriöser Ort, wie es die jetzt 49-jährige July in einem Interview treffend genannt hat. Dazu passen auch viele der im Roman beschriebenen neuen Vereinbarungen mit ihrem Mann in ihrer weiterhin existierenden, aber brüchigen Ehe. Fast wie in ihrem richtigen Leben – Realität und Fiktion mischen sich. Denn Miranda Julys Ehe mit ihrem Mann, dem Filmregisseur Mike Mills („Jahrhundertfrauen“), ist laut ihrem Instagram-Post auch „keine romantische Beziehung“ mehr. Beide leben aber noch mit ihrem 12-jährigen Kind zusammen. \Richard Mariaux
Miranda July: „Auf allen Vieren“
Kiepenheuer & Witsch
416 Seiten
25 Euro
WEITEREMPFEHLEN