Zu lesen hat Michael Hudson im Knast gelernt. Nicht dass er zuvor Analphabet gewesen wäre – aber was es bedeutet, zu lesen, das vermittelt ihm der Buchclub im Gefängnis, wo Michael wegen bewaffneten Raubes einsitzt. Die Bücher, mit denen die Anstaltsbibliothekarin Anna ihn bekannt macht, sind für ihn ein Weg in die Freiheit - „wenn er ein Buch las, war er nicht länger in seiner Zelle“ –, ein Weg auch, zu sich selbst zu kommen. Dann wird er aus dem entlassen, vorzeitig: Der zwielichtige Privatdetektiv Ornazian hat ein paar Strippen gezogen. Somit steht Michael in seiner Schuld, und genau das nutzt Ornazian aus. Für eine illegale bewaffnete Strafaktion braucht er einen Fahrer, der nicht die Nerven verliert, wenn es brenzlig wird, so ein Typen wie den jungen Hudson.
George Pelecanos’ Kriminalromane, angesiedelt in und um Washington D.C., schildern die Leben und den Struggle der kleinen Leute dort; sie sind, wie die Romane des von ihm bewunderten Elmore Leonard, oft mehr Sozialstudie als Krimi. Pelecanos kommt ohne Effekthaschereien aus, ohne Überzeichnungen, er ist vielmehr genauer Beobachter einer Welt, die der Sohn griechischer Einwanderer selbst gut kennt: irgendwie klarkommen in einer Stadt, in der es schon ein Erfolg ist, überhaupt nur in die untere Mittelschicht zu kommen und sich dort zu halten. Und manchmal kommen manche eben auf die irrige Idee, dass krumme Dinger zu drehen ein Weg dahin sein könnte. Ob Steinbeck reich gewesen sei, fragt ein Knastkollege die Bibliothekarin.
„,Bestimmt‘, sagte Anna. ,Seine Bücher waren Riesenbestseller. Es wurden Filme und Theaterstücke daraus gemacht.‘
,Ich wette, er hat auch krassen Respekt bekommen‘, sagte Donnell.
,Nicht von allen‘, sagte Anna. ,Viele Akademiker halten nicht viel von seinen Werken. Sie finden sie zu simpel und vorhersehbar.‘
,Will heißen, normale Menschen können was damit anfangen.‘“
Klingt wie ein Steckbrief zu Pelecanos’ Krimis. Die simpel sind und ganz vorzüglich. \ Gitta List
George Pelecanos: „Prisoners“
Ars vivendi 2019,
227 Seiten,
18 Euro
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