Von Peter Hoch
Mit pandemiebedingter Verspätung wird es am 25. April wieder heißen „And the Oscar goes to?…“ – wenngleich man bei der 93. Verleihung wegen der Corona-Einschränkungen ungewöhnliche Wege bei der Präsentation beschreiten und die Gästezahl trotz mehrerer Event-Locations drastisch verringern muss. Weil außerdem die Kinostarts der vergangenen vierzehn Monate höchst überschaubar waren, sind bei den Nominierungen diesmal die in den letzten Jahren noch verpönten Streamingdienste tonangebend.
Vor allem bei Netflix rechnet man sich gute Chancen auf den einen oder anderen Academy Award aus, insbesondere für David Finchers Schwarzweiß-Drama „Mank“ über den „Citizen Kane“-Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz mit zehn Nominierungen, für das Gerichtsdrama „The Trial of the Chicago 7“, das einen Prozess von 1968 gegen Anti-Vietnamkriegs-Demonstranten aufrollt, für das Westerndrama „Neues aus der Welt“ mit Tom Hanks und der zwölfjährigen Berlinerin Helena Zengel aus „Systemsprenger“ sowie für die Filmbiografie „Ma Rainey’s Black Bottom“ über die „Mutter des Blues“ Gertrude „Ma“ Rainey, für das der Ende August verstorbene „Black Panther“-Star Chadwick Boseman posthum mit einem Hauptdarsteller-Goldjungen geehrt werden könnte. Die Amazon Studios halten mit dem sechsfach nominierten Drama „Sound of Metal“ mit Riz Ahmed über einen Drummer, der plötzlich sein Gehör verliert, dem Mockumentary-Sequel „Borat – Anschluss Moviefilm“ und „One Night in Miami“ über eine Fiktion und Tatsachen vermischende Begegnung zwischen Boxweltmeister Cassius Clay, Bürgerrechtler Malcolm X, Musiker Sam Cooke und Footballspieler Jim Brown dagegen.
Von den Filmen, die es in die wiederzueröffnenden Kinos schaffen sollen, steht das bereits mehrfach preisgekrönte, dokumentarisch anmutende Roadmovie „Nomadland“ mit Frances McDormand als Wohnmobil-Aussteigerin ganz oben auf den Buchmacherlisten. Nicht zu unterschätzen sind aber auch das auf einem Theaterstück basierende Drama „The Father“ mit Anthony Hopkins, das die zerfallenden Gedankenwelten eines Demenzkranken verstörend erfahrbar macht, „Judas and the Black Messiah“ über die Ermordung des Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton anno 1969 mit Daniel Kaluuya, das sich die Rape-Culture vorknöpfende Thrillerdrama „Promising Young Woman“ mit Carey Mulligan, „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“ über das Schicksal einer aus Südkorea in die ländlichen USA immigrierten Familie mit Steven Yeun sowie – überraschend, aber verdient – Thomas Vinterbergs Alkohol-Tragikomödie „Der Rausch“ mit Mads Mikkelsen.
Das erneute Fehlen jeglicher Kassenhits oder Genrefilme wie einst „Titanic“, „Der Herr der Ringe“ oder „Avatar“ in den wichtigen Kategorien – der Zeitreisethriller „Tenet“ wäre hier die cleverste und einzige Option gewesen – dürfte allerdings kaum dazu führen, dass wieder mehr Menschen an den Bildschirmen einschalten. Davon einmal abgesehen muss man der Academy zugestehen, dass sie endlich die Zeichen der Zeit erkannt hat und sich um mehr Diversität bemüht: Von den nominierten DarstellerInnen, RegisseurInnen und DrehbuchautorInnen sind fast die Hälfte nicht-weiße „people of color“ und erstmals sind in der Regie-Sparte zwei Frauen vertreten. Es bleibt abzuwarten, ob es sich dabei um aufrichtige, langfristige Veränderungen – bei gebotener Qualität und bitte ohne Quote und Agenda – oder nur um einen kalkulierten, vom pandemischen Filmmangel beeinflussten Alibi-Jahrgang handelt. \
Trickreich
Alle nominierten Animationsfilme kann man bereits zu Hause genießen: Auf Disney+ tummeln sich die Pixar-Produktionen „Soul“ über einen sich im Jenseits ans Leben klammernden Jazzmusiker sowie „Onward – Keine halben Sachen“ über zwei Elfen-Teenagerbrüder. Wer Apple TV+ nutzt, sollte sich den abenteuerlichen „Wolfwalkers“ nicht entgehen lassen. Und „Die bunte Seite des Monds“ ist eine kompetente Kampfansage an Disney von Netflix, wo auch Kandidat #5, „Shaun das Schaf – UFO-Alarm“, seine verspätete US-Premiere feierte. \
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