Der zeitgenössische Tanz steht mit seinem Namen für aktuelle Tendenzen. Das „schrit_tmacher-Festival“ hat viele dieser Entwicklungen miterlebt. Was macht für Sie den heutigen zeitgenössischen Tanz aus?
Das Niveau des zeitgenössischen Tanzes steigt immer mehr. Er wird immer internationaler und innovativer und bietet somit auch immer mehr Menschen einen Zugang zu dieser Kunstform. Er ist für mich ein „universelles Welttheater“: Licht, Bühne, Musik – Tanz ist mehr als nur Bewegung auf der Bühne. In unseren Kooperationen mit dem Eden Palast, der Hochschule für Musik und Tanz Aachen/Köln und anderen Partnern, wollen wir mehr Menschen ansprechen und ihnen diese Vielfalt zeigen. Damals als ich noch im Ludwig-Forum arbeitete, hieß es noch „Tanz und Tanzartiges“, weil wir den Zusammenhang von Tanz und den bildenden Künsten zeigen wollten. Es war unser Ziel, zu zeigen, wie sich Tanz entwickelt hat, wie sich der Tanz vom klassischen Bühnentanz weg entwickelt hat, was Tanz ist, und wieviel er auch sein kann.
Einige Kooperationen sind ungewöhnlich, was hat der Film mit dem Tanz zu tun? Haben Sie die Partner selbst angesprochen?
Wir haben mit „schrittmacher“ bereits früher mal mit dem Eden Palast gearbeitet. Das war eine gute Sache. Also bin ich im letzten Jahr auf die Familie Stürtz, die das Eden betreibt, zugegangen. Sie haben selbst Vorschläge gemacht für die Filme mit Tanzbezug. Und so erhalten wir auch den Blick von Kinomenschen und sehen Filme, von denen wir vielleicht sonst nichts gewusst haben.
Es gibt manche Performances, wie die Pipi-Performance von Marie Chouinard, die in anderen Ländern Skandale ausgelöst haben. Trotzdem laden Sie die Kompagnie der Star-Tänzerin ein. Gibt es Künstler oder Performances, die Sie den Besuchern nicht zumuten würden?
Ich denke, das schrittmacher-Publikum, das jetzt über drei oder vier Generationen groß ist, ist sehr neugierig. Das Publikum hat mich bisher immer positiv überrascht. Sie sehen das Festival als „Fenster nach außen“ und wollen etwas erleben und immer gerne Neues sehen. Sie fanden die Sachen, die gewagt oder provokant waren, immer am besten. Ich denke, es wäre falsch, auf Nummer sicher zu gehen, bei so einem Festival. Es muss eine gesunde Mischung sein zwischen Namen, die man kennt und Neuem.
Welche altenbekannten Gesichter sind denn in diesem Jahr dabei?
Neben Marie Chouinard, ist das Nanine Linning. Dieses Jahr ist sie mit einem Tanztheaterstück dabei, etwas ganz Besonderem. Hierbei wird die Fabrik Strang nochmal ganz neu in Szene gesetzt. Darauf bin ich sehr gespannt. Vor rund 25 Jahren wurde ich einmal auf eine Reise durch Frankreich eingeladen, um verschiedene Compagnien zu besuchen und einen Überblick über den französischen Tanz zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit habe ich eine kleine Reihe an französischen Compagnien zusammengestellt, und da war auch diejenige von Didier Théron dabei, mit einer wahnwitzigen, tollen Inszenierung. Und jetzt ist er wieder hier. Genauso wie Crystal Pite, die in diesem Jahr auch einen Tanzworkshop anbieten wird.
2023 kündigen Sie viele neue Kooperationen an. Haben Sie diese angestoßen oder sind die Partner auf Sie zugekommen?
Mir ist wichtig, dass es Strukturen und Kooperationen gibt, die Bestand haben, damit es eine solide Basis für die Zukunft hat. Dazu gehören für mich gute Partner. Wir haben die Zusammenarbeit mit dem Ludwig Forum wiederbelebt. Die neue Leiterin Frau Birkenstock ist sehr interessiert. Die Hochschule für Musik und Tanz ist neu dabei. Mit dem Leiter Prof. Hans-Werner Huppertz – übrigens ein toller Gitarrist – habe ich oft über eine Zusammenarbeit gesprochen, aber dann kommt man doch wieder nicht dazu. Wir haben jetzt den ersten Schritt gemacht, und das Interessante dabei ist, dass wir langfristig Zugang zu Studenten und jungen Leuten haben. Und aus dieser Perspektive Programm für ein junges Publikum machen können, bei der auch die Verbindung von Tanz und Musik eine Rolle spielt. Wir haben jetzt auch eine Zusammenarbeit mit dem Bistum Aachen. Die haben sich bei uns gemeldet und sich als große Fans des „schrittmacher“ -Festivals entpuppt. Sie bieten parallel zum schrittmacher-Festival einen Tagung und Bewegungs- Workshop an. Das spricht auch unterschiedlichste Publikumsschichten an. Je mehr wir über das Gebiet in Aachen ausgebreitet sind und Fuß fassen in der Region, umso mehr ist der „schrittmacher“ nachher nicht wegzudenken.
Als Tanzjournalist sind Sie früher viel gereist, um neue Compagnien ausfindig zu machen. Wie suchen Sie heute die Tanzgruppen für ihr Programm aus?
Ich bekomme sehr viele Einladungen. Letzte Woche war ich in Heidelberg, vor einigen Monaten in Bergen/Norwegen, demnächst geht es nach Spanien. Man ist viel unterwegs, aber man kann nicht überall sein. Daher schaue ich mir viele Compagnien auch online an. Viele melden sich aber auch selbst. Und schicken uns Angebote, weil sie von anderen Compagnien Positives vom Festival erfahren haben. Ungefähr ein Viertel der gebuchten Gruppen haben sich beworben, den größten Teil, habe ich selbst gesehen. Ich bin ja nicht mehr im Kulturbetrieb der Stadt. So kann ich meine Zeit nun besser einteilen.
Ist das Festival für die Compangien auch eine Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen?
Wir sind vernetzt mit anderen Programmmachern von Festivals. Die kommen zu uns und sind auf der Suche nach interessanten Aufführungen und Compagnien, die sie live erleben wollen. Insofern ist das für die Compagnien interessant, und wir geben unser Bestes, sie miteinander in Kontakt zu bringen.
Ist diese Internationalität, auch ein Markenzeichen des „schrittmacher“ – Festivals, die es über das Dreiländer-Eck hinaus bekannt gemacht hat?
Die Compagnien finden unser Programm interessant und wissen, dass wir ein ganz großartiges Publikum hier haben. Ein Publikum, das ganz stark reagiert, auf das, was sie machen. Viele gucken sich mehrere Veranstaltungspunkte in der Woche an. Darum achten wir auch darauf, dass jede Woche ein anderes Programm stattfindet.
In diesem Jahr kommt noch ein neuer niederländischer Spielort hinzu: der Buitenplaats Kasteel Wijlre. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Das kam über die Kollegen in Heerlen, die haben ihre Hände ausgestreckt. Sie sind interessiert, dass das Festival sich auch in Limburg ausbreitet. Limburg ist Tanzland: da gibt es viele Tanzschulen, das ist die nächste Generation. Das sind die Leute, die irgendwann mal auf der großen Bühne stehen. Deshalb ist das auch so wichtig.
Das Festival eröffnet in diesem Jahr wieder in Heerlen, warum ist das so?
Das hat sich so eingependelt, dass wir am Dienstag nach Karneval starten. Aus logistischen Gründen starten wir immer in der Woche in Heerlen wo wir eine große Bühne haben. Von dort aus entfaltet sich das Festival. Das Publikum bewegt sich nach wie vor über die Grenzen. Wichtig ist, dass die Programmpunkte in die Locations passen. Das ist auch schön für die Compagnien. Die spielen jetzt viermal hintereinander und können so auch das Publikum vor Ort kennenlernen. Unsere Frage 1 ist immer: Was wollen wir spielen, und 2: Wo wollen wir aufführen? Unser Vorteil ist, dass wir so viele verschiedenen Locations haben.
Welche Bedeutung hat Ihr Festival für die Stadt Aachen nach so vielen Jahren?
(Lacht), da müssen Sie die Stadt Aachen fragen. Was ich höre ist, dass die Stadt Aachen das „schrittmacher“-Festival schon als Marke vorhält und sagt: Hier, das ist eines unserer sehr wichtigen internationalen Kulturprojekte. Eine Art Aushängeschild des kulturellen Lebens, auch für die Region.
Warum haben Sie sich nicht auf den reinen Tanz konzentriert? Wo sehen Sie den Gewinn in den verschiedenen Programmpunkten, wie den Vorträgen, Filmen, Konzerten und Workshops?
Tanz selbst ist nicht nur begrenzt auf das was man auf der Bühne sieht. Der Tanz hat Auswirkungen auf den Film, auf die Musik, auf die Fashionwelt. Viele Popsänger arbeiten mit Choreographen zusammen. Es ist einfach ein Statement: Tanz ist nicht nur Bewegung auf der Bühne.
Ab 28.2.
„schrittmacher“
Diverse Orte und Uhrzeiten
www.schrittmacherfestival.de
Workshop
Wie kam die Performance zustande? Wie bringen Tänzerinnen und Tänzer ihren eigenen Stil ein? In den von Choreographin Karin Post kuratierten SIDETALKs treffen im Buitenplaats Kasteel Wijlre, Publikum und Tanzwelt aufeinander.
Für den Workshop der Compagnie Marie Chouinad braucht man keine Tanzerfahrung . Die Crewmitglieder der kanadischen Star-Choreographin erarbeiten am 1. März gemeinsam mit Anfängern wie Profis Ausschnitte, aus deren Choreographie.
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