Von Sebastian Dreher
Nein, den Kindheitstraum, Lyriker zu werden, hatte Christoph Wenzel nicht. Eigentlich kam der jetzige Autor, Literaturwissenschaftler und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift [SIC] ziemlich spontan zum Schreiben – in Form von Texten Ernst Meisters, die er als Jugendlicher zufällig in der Stadtbibliothek seiner westfälischen Heimatstadt Hamm fand.
„Meisters Verse hatten nichts mit der Lyrik zu tun, die ich bis dahin in der Schule kennengelernt hatte“, erinnert sich der 34-Jährige. Das waren zum Großteil formstrenge Barockgedichte ohne Platz für Neues. Die Werke von Meister dagegen erschienen völlig frei, losgelöst von den Fesseln der Metrik. „Meine erste Reaktion war Unverständnis – so kann man nicht dichten“, sagt Wenzel. „Doch dann dachte ich: Warum nicht? Warum keine eigenen lyrischen Regeln aufstellen?“
Lyrischer Bildpool
Denn Regeln müssen sein, ohne sie kann keine Lyrik funktionieren, meint Wenzel. „Jedes Gedicht hat seine eigenen, individuellen Gesetzmäßigkeiten. Das hat viel mit Klang und Rhythmus zu tun – und mit der Bildsprache.“ Wenzel selbst kann mittlerweile aus einem lyrischen Bildpool schöpfen, den er sich über Jahre hinweg angeeignet hat. Zu seiner Recherche zählen neben der Lektüre von Fachliteratur und Belletristik auch die Sichtung von Internetseiten, sowie Radio- und Fernsehbeiträge – aber auch zufällig im Bus mitgehörte Gesprächsfetzen.
„Oft setzt das, was sprachlich eigenartig oder widersprüchlich ist, einen kreativen Prozess in Gang“, sagt Wenzel. So haben auch die regelmäßigen Fahrten vorbei an den verlassenen Ortschaften entlang des Rheinischen Braunkohlereviers etwas in Gang gesetzt. Während sich Wenzel, der in einem Reihenhaus hinter einem Zechengebiet aufgewachsen ist, bislang viel mit den Folgen der Steinkohleförderung im Ruhrgebiet auseinandergesetzt hat, interessieren ihn momentan stark die Veränderungen durch den hiesigen Braunkohleabbau, die nicht selten in Heimatzerstörung münden. Ist die Kohle im „Pott“ immer auch identitätsstiftend gewesen, wirkt sie hier vor allem vernichtend.
Stipendium für junge Autoren
Für sein Werk, das die Gedichtbände „zeit aus der karte“ (2005), „tagebrüche“ (2010) und „weg vom fenster“ (2012) umfasst, hat Wenzel am 22. Oktober das mit 10.000 Euro dotiert Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln erhalten – ein Preis, der an nordrhein-westfälische Autoren vergeben wird, die nicht älter als 35 Jahre sind. In seiner Laudatio rühmte der Autor und Journalist Enno Stahl vor allem Wenzels „verständliche, jedoch niemals schlichte Sprache“, mit der sich der Dichter „nicht scheue, ,Heimatlyrik‘ in einem guten und ganz neuen Sinne zu schreiben.“ Auch wenn Wenzel über die Bezeichnung „Heimatlyrik“ nicht ganz glücklich ist, weil der Begriff die Leser auf eine falsche Fährte bringen kann, ist der Preis für ihn natürlich ein willkommener Motivationsschub.
„Ich glaube, dass die Lyrik momentan eine Renaissance erlebt“, sagt er. „In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl junger, hochqualitativ arbeitender Lyriker zu Wort gemeldet, die allesamt traditionsbewusst und innovativ zugleich arbeiten.“
So wird auch Wenzel seinem Genre treu bleiben und nicht etwa – wie viele andere – in der Hoffnung auf höhere Verkaufszahlen ins Romanfach wechseln. „Ich sehe die Lyrik nicht als Spielwiese, von der man zwangsweise über kurz oder lang in die Leitgattung ‘Roman’ wechselt. Ein Gedicht hat alles, was nötig ist: es kommt auf den Punkt, bleibt dabei aber differenziert.“ ///
Christoph Wenzel bei literaturport.de
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