Er kann nicht sprechen, er kann sich nicht bewegen, und er ist gerade mal rund 70 Zentimeter groß. Trotzdem spielt er die Hauptrolle in diesem Stück: Oleg. Denn mit Olegs Hilfe kann das Aachener Grenzlandtheater nachweisen, dass in seinem Zuschauerraum unter bestimmten Voraussetzungen nahezu gar keine Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus besteht. Dafür muss Oleg nicht mal besonders viel machen: einfach nur ausatmen.
Oleg ist natürlich kein Mensch, sondern ein künstlicher Torso mit einem Kopf darauf. Dahinter verbirgt sich allerdings geballtes Ingenieurwissen. „Was wir untersuchen, ist, wie die ausgestoßene Atemluft die umliegenden Sitznachbarn erreicht, beziehungsweise wie hoch die Aerosolkonzentration im Raum ist“, sagt Martin Seipenbusch, Aerosolexperte von der Parteq GmbH, die gemeinsam mit dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und dem dort tätigen Professor Wolfgang Schade die Studie zum Grenzlandtheater erstellt hat.
Um die Konzentration messen zu können, verwenden Seipenbusch und sein Team einen Aerosolgenerator, der ein spezielles Öl vernebelt. Außerdem wird CO2 beigemischt, um Atemluft zu simulieren. Dieses Gemisch atmet Oleg schließlich aus, und rundum wird gemessen. Im Grenzlandtheater hat sich Oleg durch den gesamten Zuschauerraum gearbeitet. Da Coronaviren hauptsächlich über Aerosole beim Ausatmen oder Sprechen übertragen werden, kann man daraus wiederum Rückschlüsse auf das Infektionsrisiko ziehen.
Im Ergebnis halten die Experten fest: „Eine Gefahr von Infektionen durch Aerosolübertragungen im Saal ist nahezu ausgeschlossen.“ Und: „Das Grenzlandtheater Aachen kann mit seinem vorhandenen Lüftungskonzept kein Superspreading-Event provozieren.“
Dieses klare Ergebnis ist freilich an Voraussetzungen geknüpft, etwa die Belüftungsanlage. Die Luft wird unter den Sitzen in den Raum eingeblasen und oben an der Decke abgesaugt, so dass ein kontinuierlicher vertikaler Luftstrom von unten nach oben entsteht. Eine weitere Voraussetzung ist ein Mund-Nasen-Schutz. Als Oleg den getragen hat, wurden in unmittelbarer Umgebung nur noch Aerosolwerte von 1?bis 1,5?Prozent bezogen auf die Quellkonzentration gemessen. Damit gehört das Grenzlandtheater nach Angaben der Wissenschaftler zu den Häusern mit den niedrigsten Werten überhaupt.
Die Ergebnisse sind ein Politikum
Immer wieder kocht die Debatte um Lockerungen der Corona-Beschränkungen hoch, und besonders die gebeutelten Kulturbetriebe fordern Öffnungen. Die guten Ergebnisse dürften Wasser auf die Mühlen sein. Doch Uwe Brandt, der Intendant des Grenzlandtheaters, sagt: „Wir wollen gar nicht so sehr Druck auf die Politik ausüben. Eigentlich geht es uns viel mehr darum, bei unseren Zuschauern Vertrauen zu schaffen, dass ein Besuch in unserem Haus sicher ist. Wir wollen Mut machen, ins Theater zu gehen, wenn wir wieder öffnen dürfen.“
Trotzdem sind die Ergebnisse der Studie an sich natürlich schon ein Politikum. Denn welche Argumente hat die Politik, ein Haus, das einen solchen wissenschaftlichen Nachweis erbringt, weiter zu schließen? Und wenn man es öffnet, welche Auslastung lässt man dann zu? Wie es weitergeht, hängt auch von den Inzidenzwerten ab. Wann die dauerhaft so niedrig sind, dass Aufführungen möglich werden, ist nicht abzusehen. \chr
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