Eins vorab: Das Stück verlangt Ensemble und Publikum viel ab. Dennoch reiht es sich in die Liste der herausragenden – und mutigen – Produktionen des Aachener Theaters in dieser Spielzeit ein. Die israelische Komponistin Chaya Czernowin schrieb das Stück „Zaïde/Adama“ 2006 als eigenständige Oper mit zwei gleichzeitig zum Einsatz kommenden Orchestern, die die Handlung der beiden Stücke zunächst parallel laufen lassen und dann immer enger miteinander verflechten. In das zuckersüß-liebliche Mozart-Fragment, das als Vorläufer der berühmten „Entführung aus dem Serail“ gilt, wird die spröde Dystopie von „Adame“ eingefügt: Samuel Pantcheff als Palästinenser und Christiana Baader als Jüdin formulieren als verzweifelte Liebende mit scharfen Zischlauten und quälend langgezogenen Wörtern die akustische Dimension dieser lebens- und liebesfeindlichen Welt.
Die Vorbereitungen zur Neuinszenierung in Aachen begannen lange bevor aus den schwelenden Konflikten ein blutiger Krieg wurde. Es ist, als überhole der Lauf der Dinge den eigenen Schatten.
Im Stück ist von der „Folter der Liebe“ die Rede, als der exaltierte Sultan Soliman (herrlich trumpesk: Philipp Nicklaus) von der schönen Zaïde (Sopranistin Laia Vallés, die als aufbegehrende Sklavin brilliert) zurückgewiesen wird und auf Rache an ihr und ihrem Geliebten, dem Sklaven Gomatz (Tenor Ángel Macías, der bei der Premiere für die einleitenden Worte auf Deutsch die Stimme von Furkan Yaprak geliehen bekam) sinnt. Bei der Verfolgung der beiden Liebenden und ihres Komplizen Allazim (Jonathan Macker) übernimmt der eigens für das Projekt gegründete „Community Chor“ als aufgepeitschter Mob einen wichtigen Part, er symbolisiert für Regisseur und Bühnenbildner Ran Chai Bar-zvi die Macht der Masse.
Versucht Soliman anfangs noch, die Masse für sich und seine Rachegelüste einzunehmen, wächst im Laufe der Inszenierung der Widerstand gegen seine Gewaltherrschaft. Bei der zunehmenden (Selbst-)Demontage Solimans denkt man unwillkürlich an den Spruch „Stell Dir vor, es ist Krieg – und keiner geht hin“. Eigentlich könnte alles ganz einfach sein, ist es aber nicht … Die Eskalation der beiden Handlungsstränge wird zur doppelten Folter: Als die Liebenden vom Mob gejagt und bedrängt werden, schrauben sich die Orchester im Graben und im Bühnenhintergrund in eine gewaltige, kaum auszuhaltende akustische Explosion, die die nackte Gewalt – und die Sinnlosigkeit dieser – greifbar machen. Und wenn mit dem Fall des Bühnenprospekts die gemalte Fake-Rokokoarchitektur in sich zusammenbricht, bleibt doch die mozartsche Intention, dass es auch im schlimmsten Moment Hoffnung gibt, sofern man noch an die Liebe glaubt. \bep
2.6., 19.6. (19.30 Uhr), 22.6.
„Zaïde/Adama“
18 Uhr, Großes Haus, Theater Aachen
theateraachen.de
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