Mozart komponierte seine Oper „Don Giovanni“ oder „Der bestrafte Wüstling“ – wie sie ursprünglich hieß – 1787 in Prag. Schon vorher war die Geschichte des Don Giovanni bzw. Don Juan oftmals in Schauspielen und Opern auf die Bühne gebracht worden. Don Giovanni, ein Aristokrat, ist ein Frauenheld und jagt jedem Rock hinterher; dabei wird er von seinem treuen Diener Leporello unterstützt. Verfolgt von seinen Widersachern – die von ihm verführte Donna Anna, deren Vater Giovanni im Duell getötet hat, deren Verlobten Don Ottavio und Donna Elvira, sowie Zerlina und Masetto – fährt der Wüstling zur Hölle. Das Werk entstand in einer Zeit des Umbruchs, zwei Jahre vor der französischen Revolution und ein Jahr nach der Uraufführung von Mozarts „Hochzeit des Figaro“, das auf dem lange verbotenen, gleichnamigen Bühnenstück von Beaumarchais basierte.
Diese Umbruchssituation ist für Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, die in der letzten Spielzeit in Aachen bereits „Pelléas und Mélisande“ inszenierte, wesentlich.
„Das Verhalten Giovannis durchbricht alt hergebrachte Werte und auch die Ordnung der Stände, sprich Gesellschaft. Es stellt sich die Frage: Sind diese alten Werte überhaupt noch aktuell? Ich möchte den Denkanstoß hierzu geben. Vielleicht sind es ja auch Giovannis Gegenspieler, die ihr Verhalten hinterfragen sollten. Vielleicht ist ihr Wertesystem langsam überholt.“
Höckmayer hebt die Eigenverantwortung der Gegenspieler Giovannis hervor. Sie stellt damit nicht mehr Giovannis vermeintlich verdorbene Moral in den Mittelpunkt, sondern ein zusammenbrechendes, unzulängliches Wertesystem, an das die Gegner Giovannis sich verzweifelt klammern. Und dieses System fordert geradezu, von der eigenen Schuldigkeit abzulenken und den zum Außenseiter, zur Ausnahme gemachten Lebemann Giovanni zu bestrafen. „Zu einer Verführung wie der der Donna Anna gehören immer zwei. Und auch für Donna Elvira besteht Giovannis Schandtat eigentlich darin, dass er ihre Liebe nicht erwidert.“ Auf diese Weise kann man die Verhaltensweisen aller Protagonisten durchspielen.
Höckmayr zeichnet den Giovanni als eine Figur, die ihre Gegenspieler provoziert, herausfordert; sie lässt ihn nicht einfach als Wüstling mit unzulänglichen Moralvorstellungen dastehen. Sie zeichnet ihn als denjenigen, der der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. „Letztendlich ist er eine Art Aufklärer, der von den Vorwürfen ermüdet ist.“
„In der heutigen Zeit würde ein Giovanni, der unreflektiert als Bösewicht dasteht, nicht funktionieren. Meine Hauptfigur zeigt in gewisser Weise die heutige Freiheit, in unserer Gesellschaft hat sich der Giovanni-Typ etabliert. Es gibt so gut wie keine Tabus mehr, also kann man auch keine mehr brechen.“
Auch das Bühnenbild von Ric Schachtebeck spiegelt die Auflösung von Grenzen wider. „Die Bühne ist ein Kastensystem, eine Art Schaukasten, der sich im zweiten Teil der Inszenierung auflöst. Diese Auflösung der Bühne unterstreicht noch einmal, wie desolat die Grundmauern der Gesellschaft zu der Zeit sind.“ Das Kastensystem ermöglicht zudem eine Bühne in der Bühne – einen Lizenzraum – in dem Giovanni seine Provokationen inszeniert.
WEITEREMPFEHLEN