Eine Opernneuproduktion ist Präzisionsarbeit, die eigentlich keinen Störfall verträgt. Damit am Schluss die vielen Einzelteile wie ein Uhrwerk abschnurren, muss bei den knapp disponierten Proben alles nach Plan laufen. So ziemlich das Schlimmste, was im Vorfeld einer Opernpremiere passieren kann, ist der Ausfall der Regie. Und genau das musste die Aachener Neuproduktion von Mozarts „Don Giovanni“ verkraften: Zweieinhalb Wochen vor der Premiere fiel die junge Regisseurin Eva-Maria Höckmayr aus, wegen „Erkrankung“, wie das Haus mitteilte.
Auf Höckmayrs Deutung der „Oper aller Opern“ waren allergrößte Hoffnungen gesetzt worden, hatte sie doch 2009 mit Debussys schwieriger Albtraum-Oper „Pelléas et Melisande“ einen Volltreffer gelandet und für diese Inszenierung mehrere wichtige Regie-Preise eingesammelt.
Prekär war Höckmayrs Ausfall auch deshalb, weil fast drei Wochen vor der Premiere ihre Regiearbeit noch ganz unfertig und im zweiten Teil erst grob umrissen war. Doch die Aachener Theaterleitung hatte Glück im Unglück: Mit Ludger Engels hat man einen Mozart erfahrenen Chefregisseur am Haus, der das Ensemble wie seine Westentasche kennt und glücklicherweise Zeit dazu hatte, Höckmayrs Arbeit zu vollenden.
Engels ist ein Regisseur mit ausgeprägter eigener Handschrift, der neue Aachener „Don Giovanni“ weist dennoch keinen harten Bruch zwischen seiner und Höckmayrs Arbeit auf. Ric Schachtebeck hat einen abstrakten Einheitsbühnenraum gebaut: In der Bühnenmitte steht ein flaches himbeerfarbenes Podest, dessen drei Wände aus drehbaren Türen bestehen, wie man sie von Wetterhäuschen kennt. Die gesamte Spielfläche ist eingerahmt von grauen Wänden, die wiederum aus vielen Drehtüren bestehen. Sie ermöglichen den Sängern schnelle Auf- und Abtritte, Versteckspiele, Heimlichkeiten und Überraschungen. Ein paar nüchterne Stühle verweisen wie die Kostüme der Sänger auf eine zeitlose Gegenwart, die Bühne bleibt ansonsten leer.
Eingespannt im Netz bürgerlicher Neurosen
Der Titelheld Don Giovanni (Wieland Satter) wirkt auf den ersten Blick ziemlich normal, denn er tritt weder mit großer Geste auf, noch schaut er besonders verführerisch oder finster drein. Auffallend ist allerdings die Faszination, die der Tod auf ihn ausübt. Denn als er gleich zu Beginn den Komtur erstochen hat, fesselt ihn der Anblick der Leiche derart, dass er sich von ihr kaum losreißen kann und sich kurzerhand daneben legt. Sozusagen ein Probeliegen, das auf Don Giovannis unrühmliches Ende verweist und sich im Verlauf des Abends mehrfach wiederholt.
Ein Todessüchtiger also, dessen Anziehungskraft im Wesentlichen darauf zu beruhen scheint, dass die Menschen, denen er begegnet, ihn zur Projektionsfläche der eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Aggressionen machen. Dieser Don Giovanni vibriert zwar vor Energie, er ist aber vor allem eingespannt in das Netz der bürgerlichen Neurosen der ihn umgebenden Menschen.
Die Personenführung ist handwerklich souverän, zeigt viel Spielwitz und Beobachtungsgabe. Das eigentliche Kraftfeld des Abends ist jedoch im Orchestergraben angesiedelt. Dort lässt GMD Marcus R. Bosch keinen Zweifel daran, dass er „Don Giovanni“ für ein überwiegend düsteres, hoch dramatisches Stück Musiktheater hält, das mit fataler Konsequenz auf die Katastrophe zusteuert. Bosch wählt sehr rasche, nervöse Tempi und lässt das Orchester historisch informiert musizieren. Naturtrompeten, Barockposaunen und Naturfellpauken produzieren zugespitzte, aufgeraute Klänge und die Streicher spielen mit kontrolliertem Vibrato.
Sehr genau hat Bosch mit den Sängern gearbeitet, das Miteinander mit dem Orchester ist mustergültig, der Gesamtklang transparent. Dazu passen die durchweg jungen, schlanken Stimmen des hervorragenden Ensembles. Der kammermusikalische Ansatz baut enorme Energien auf und führt zu frappierenden Entladungen. Ingesamt ein spannender, temporeicher und sehr heutiger Opernabend.
Text: Regine Müller
Foto: Wil van Iersel
6. und 9. 3.
„Don Giovanni“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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