Der in Deutschland geborene Jude und Sohn Holocaust-Überlebender Emanuel Goldfarb erhält von einem Lehrer eine Einladung zum Sozialkundeunterricht. Da soll er doch vor eine Schulklasse treten, um über das Judentum vorzusprechen. Wie eine aussterbende Gattung. Eigentlich ist die Antwort für den Journalisten darauf ganz klar: vorgeführt werden wie eine seltene Tierart kommt nicht in Frage. Doch die Ablehnung so knapp und bündig zu formulieren wird für den grüblerischen Goldfarb zu einem unerwartet komplexen Unterfangen. Wo mit den Gründen beginnen? Wie benennen? Für Emanuel Goldfarb wird das leere Blatt Papier zu einem stummen Gegenpol, vor dem er das jüdisch-deutsche Verhältnis in der heutigen Gesellschaft reflektiert und der den Anstoß gibt, für einen Monolog aus Wut, melancholischer Reminiszenz und Sarkasmus. „Permanente Toleranz“ und „das ewige Wiedergutmachen“ sind ihm zuwider. Bewusst lebt er nach eigenen weltlicheren Regeln. Doch was er sich eingestehen muss, seine jüdische Erziehung ist fest verankert. Obwohl er sich von den jüdischen Vorschriften längst losgesagt, sich sozialen wie mentalen Strängen entzogen und diese mit der Konfession der Denker, Literatur und Philosophie, ersetzt hatte. „Emanuel Goldfarb gegen den Rest der Welt.“ So schleppt sich der Journalist quer durch die Geschichte des Judentums über die Liebesgeschichte seiner Eltern und prägende Kindheitserinnerungen bis hin zu dem Dilemma der eigenen Identität und seines „jüdischen Kopfes“.
Das Kammerspiel von Autor Charles Lewinsky, das 2005 bereits mit Ben Becker verfilmt wurde, ist zynisch und geradeaus. Mit den richtigen Worten und Pointen trifft es auf den Punkt. Kein jüdischer Mitbürger will Goldfarb sein, sondern „‘Jude’ heißt das! Ganz einfach. Jude.“ Das Stück unter Regie von Uwe Brandt regt an, stößt vor den Kopf und bringt gleichzeitig zum Lachen. Juden in der Gegenwart, das Problem „zuviel Geschichte“ zu haben, Heimatlosigkeit, Identität, Deutsche und Juden und Juden und Deutsche. Nichts was Goldfarb seinem imaginären Gesprächspartner nicht vorhält. Trotz des Schwermuts, bleiben die anderthalb Stunden Monolog locker und reich an schlagfertigem Witz.
Und das Ensemble des Ein-Mann-Stückes? Karl Walter Sprungala. Er ist Emanuel Goldfarb. Zumindest auf der Bühne. Das Anlegen der Teffilin, der Gebetsriemen, oder das Singen jüdischer Gebete allein zeigen Sprungalas einschlägige Vorbereitung. Durch relevanter Lektüre und Hebräisch-Lernen verschaffte sich der 53-jährige Vertrautheit mit der Materie. Auch Besuche bei einem Aachener Rabbi und Drehbuchautor Lewinsky prägten seine Darstellung. „Einsam, intellektuell, zerrissen“, wie der Schauspieler selbst ihn beschreibt, zeigt Sprungala dem Publikum erst einen souveränen Goldfarb im adretten Anzug, dann den anderen, gebrochenen Mann mit wirrem Haar und Wesen, der sich als ganz gewöhnlicher Jude versucht hatte und scheiterte. Denn eine entgültige Vereinbarkeit ist Illusion. Das weiß auch Goldfarb: „Wir haben die gleiche Geschichte, aber nicht die gleichen Geschichten. – Sie und ich.“
Text: Sabine Hausmann
Foto: Kerstin Brandt-Heinrichs
29.1. bis 18.3.
„Ein ganz gewöhnlicher Jude“
20 Uhr, Grenzlandtheater, Aachen
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