Es ist bunt, laut, schrill und doch düster, leise, melodisch. Es ist unglaublich viel Input, der auf den Zuschauer hereinbricht und doch will man nicht, dass der Abend endet. Denn, ganz ehrlich, das war eine Hammer-Show, die da im großen Haus geboten wurde. Ein riesiges Spektakel, das mehr an Varieté oder Kabarett erinnerte als an ein Musical. Das lag nicht nur an den Darstellern, sondern auch an der spitzenmäßigen Akkustik-Band um Malcolm Kemp. Zusammen mit Moritz Schippers, Boris Bansbach, Uwe Böttcher und Samuel Reissen hat Kemp die Stücke der Tiger Lillies genommen und jazzig, rockig, revuehaft neu arrangiert. Dazu dann das singende Ensemble. Allesamt großartig in Szene gesetzt, singend, tanzend, tragisch-komisch in der Rolle und grandios in der Darbietung auf der Bühne. Dorien Thomsen und Sandra Linde, die die Kostüme und das Bühnenbild passend zu von Treskows Inszenierung entwarfen, setzten bei den Kostümen auf eine schrill-schaurige Mischung aus Zukunft und Vergangenheit, die an vielen Stellen an einen Tim Burton-Film erinnerte. Übertrieben unecht, dabei Traum-real. Dazu passend das Bühnenbild aus einem schwarzen, sich über die Darsteller bedrohlich wölbenden Horror-Haus mit düsteren Treppenstiegen und zugezogenen Fenstern. Luca Fois lässt dazu noch Videoinstallationen über das Dunkle flimmern, dass man denkt, gleich steigen die Horrorgestalten ins Publikum – oder noch schlimmer, direkt in die Köpfe. Das klingt jetzt bedrohlich-schlimm, war es aber nicht. Denn hier macht es vor allem die Mischung. Tommy Wiesner, der in der Rolle als Conferencier und titelgebender Struwwelpeter durch den Abend führt und diese auch ungebremst bis ins Piesackende ernst nimmt, verspricht direkt am Anfang: „Dieser Abend wird nicht leicht werden.“ Aber wer will schon leicht, wenn er alles haben kann. Nach und nach kommen sie alle zusammen, die eigensinnigen Kinder, die bösen Eltern, die ganze verrückte tragische Mischung aus wirrer Fantasie und wahrer Begebenheit. Böse, irre und charmant gibt uns Wiesner den Wink mit dem Zaunpfahl, nennt er den Schauplatz das „Honka-Haarmann-Höxter-Horrorhaus“. Könnte also auch echt sein, was man auf der Bühne sieht. Nein, kann es nicht, sagt einem der Kopf, wenn in der nächsten Szene Hasen auf Highheels tanzen und Fische Treppen auf- und ablaufen und man über den tragischen Tod bereits verstorbener Kinder lacht. Und da bleibt es schon stecken das Lachen, wenn sich diese bunte Traum-Fassadenwelt mit der Realität paart. Die Geschichte, oder besser was und wie es die Kinder in den Tod trieb, erfährt das Publikum durch sie selber. In unterschiedlichen Songs berichten sie singend von ihrem Untergang. Da ist der daumenlutschende Konrad (Bettina Scheuritzel), der nie still sitzen könnende Zappelphilipp (Philipp Manuel Rothkopf), der tierquälende Frederick (Benedikt Voellmy) und der Guck-in-die-Luft Robert (Tina Schorcht). Mit zum Ensemble, das in die unterschiedlichsten Rollen schlüpft, gehören auch Alexander Wanat und Bettina Scheuritzel. Gesungen wird auf Englisch, was aber kein Problem darstellt. Die Grundgeschichte ist bekannt, die Übertitel werden zum Gesang dargestellt. Wie ein Jahrmarktkarussell dreht sich die Geschichte immer tiefer in die Psyche und macht mit seiner Mischung aus Moritat und makabrem Varieté die Kopfkirmes an. Am Ende gesellt sich dann auch der Conferencier zum Kinderreigen. Aus dem Charmebolzen wird der Junge mit dem wirren Haar, das über die gesamte Bühne wächst. Beim Schlussapplaus hält es keinen mehr auf den Stühlen. Standing Ovations und die Forderung einer Zugabe. Beides absolut zu Recht. kw 4.+9.2. „Shockheaded Peter“ 19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen www.theateraachen.de
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