Ein Keil ragt schräg Richtung Publikum. Am oberen Ende eine tiefe Kuhle. Dahinter ein Abgrund. Um das Ganze herum ein Rundhorizont mit bunten Fischen. Willkommen auf der fantastischen Insel Illyrien, die Bühnenbildnerin Franziska Rast für die Inszenierung ihrer Schwester, Christina Rast, optisch geschaffen hat.
Wie ein versunkenes Atlantis präsentiert sich diese bunte Welt mit ihren noch bunteren Protagonisten. Hier trifft barocke Mode auf Nasenringe, Hosen- auf Minirock, Halskrausen auf Handtaschen, Männlein auf Weiblein und Liebe auf Selbstverliebtheit. Alexander Wanat, wegen einer Knieverletzung körperlich etwas ausgebremst – was der Rolle keinen Abbruch getan hat – führt als bänkelsingender Narr mit Cello und Gitarre durch den Abend.
Er ist der, der zwar Narr genannt wird, aber als einziger – zumindest teilweise – den Überblick behält. Außer ihm befinden sich auf der Insel der schwer selbstverliebte Herzog Orsino (Benedikt Voellmy), seine angebetete Gräfin Olivia (Stefanie Rösner), die wenig Interesse an ihm zeigt, dafür aber sonst ziemlich zackig in Wallung zu bringen ist, das Säuferduo um Bleichenwang (Julian Köchlin) und Sir Tobey (John Wesley Zielmann), die nicht nur mit Saufliedern und versuchter Männlichkeit auf sich aufmerksam machen, sondern auch mit einer außergewöhnlichen Liebe zu Handtaschen und unglaublicher Dummheit.
Angeleitet werden die beiden von der kettenrauchenden und aus allen Körperöffnungen qualmenden Maria (Marion Bordat), die mit verächtlichen Äußerungen („Der ist ein Arschloch!“) und schadenfrohem Gelächter auf sich aufmerksam macht. Der Tragischste, aber nicht minder Komische im Bunde, ist Malvolio (Bettina Scheuritzel), der mit rosa Bärtchen und schwingendem Pelzpimmel den anderen Irren auf den Leim geht.
Verkleiden, Maskieren, Verwechseln: Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ hat all das. Und sogar noch mehr. Christina Rast schafft ein abgedrehtes Spiel mit gängigen Rollenklischees, das definitiv auch heute noch hervorragend funktioniert. Dabei ist die Handlung keinesfalls banal oder gar idiotisch, sondern verlangt dem Zuschauer einiges ab, um den Irrungen und Wirrungen, dem Gerutschte und Gespringe, dem Gesinge und Geschreie auf der Bühne zu folgen.
Wie ausgespuckt vom Meer taucht auf der Insel der Lebenshungrigen aus dem Loch in der angeschrägten Bühne Viola (Marlina Adeodata Mitterhofer) auf, spuckt Wasser prustend aus, befreit sich vom Plastikmüll des Meeres, baut sich breitbeinig auf, stemmt die Hände in die Hüften und will es gleich mit allem und jedem aufnehmen.
Von wegen hilflose Jungfrau in Nöten … Sie, von vorne in Röckchen, von hinten in Hose, derben Boots und brust-verbergender Korsage, sucht ihren Zwillingsbruder (Tim Czerwonati). Die Kostüme, allesamt barock angelehnt, aber grandios modern aufgepeppt von Kathrin Krumbein, sorgen neben dem Bühnenbild für einen fantastischen Touch.
Die Darstellung aller Schauspieler, allesamt rasend von irgendeiner Form von Liebe, sorgen für langanhaltende Lacher, zum Beispiel wenn Gastschauspieler Köchlin in seine gelbe Tasche göbelt, oder herrlich idiotenhaft von einer Misere in die nächste tappt.
Drei Stunden dauert das Stück. Und das ist keine Minute zu lang. So amüsant, modern, voller Wortwitz und irre-fantastisch wird diese Inszenierung von Christina Rast, die schon häufig am Theater Aachen zusammen mit ihrer Schwester Franziska für fulminante Theaterabende sorgte und im letzten Jahr von Intendant Michael Schmitz Aufterbeck noch ein Mal an das Theater Aachen berufen wurde, in Erinnerung bleiben.
Hier bekommt man, was man will: Ein Klassiker ins Jetzt geholt. Intelligente Unterhaltung mit Witz und Tiefgang. Wer es noch nicht sah: unbedingt hingehen. / Kira Wirtz
1., 9., 14.+23.4.2023
„Was ihr wollt“
Diverse Uhrzeiten, Bühne, Theater Aachen
Termine: Sa 01. April, 19:00 Uhr, Bühne, Einführung
Sa 01. April, 19:00 Uhr, Spiegelfoyer, Einführung
So 09. April, 17:30 Uhr, Bühne, Einführung
So 09. April, 17:30 Uhr, Spiegelfoyer, Einführung
So 09. April, 18:00 Uhr, Bühne
Fr 14. April, 19:00 Uhr, Bühne, Einführung
Fr 14. April, 19:00 Uhr, Spiegelfoyer, Einführung
Fr 14. April, 19:30 Uhr, Bühne
So 23. April, 17:30 Uhr, Spiegelfoyer, Einführung
So 23. April, 18:00 Uhr, Bühne
Sa 27. Mai, 19:30 Uhr, Bühne
Sa 03. Juni, 19:30 Uhr, Bühne
Do 22. Juni, 19:30 Uhr, Bühne
Foto: Marie-Luise Manthei
Theater Aachen - "Was ihr wollt"
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