Was macht das Gelingen einer Operninszenierung aus? Die Musik, natürlich, das Orchester, das Dirigat, die Inszenierung mitsamt den Kostümen und dem Bühnenbild. Für die aktuelle Aufführung von Jules Massenets romantischer Oper „Manon“ am Theater Aachen ist diese Frage eindeutig zu beantworten: Es ist die Protagonistin, Suzanne Jerosme, die in der Titelrolle stimmlich vom ersten Ton an und mit einer atemberaubenden Bühnenpräsenz brilliert.
Manon ist eine junge, schöne, lebenslustige Frau aus der tiefsten Provinz. Eigentlich, so hat es ihr Urheber Abbé Prévost in seinem Kurzroman „L‘Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut“ vorgesehen, soll sie ihr weiteres Dasein im Kloster fristen. Eine zufällige, kurze Begegnung mit dem jungen Adligen Des Grieux ändert alles. Spontan brennt sie mit ihm durch. Natürlich sind die Gesamtumstände alles andere als günstig, zumal Des Grieux‘ Vater mit dem Junior gänzlich andere Pläne hat und ihm den Geldhahn zudreht. Manons zwischenzeitlich entflammter Hang zum Luxus ist so natürlich nicht mehr finanzierbar. Eine ganze Riege von vermögender Sugar-Daddies ist aber nur zu gerne bereit einzuspringen und ihr den Traum von einem glamourösen Leben zu erfüllen. Das Ganze endet zwangsläufig tragisch und wird so zu einem idealen Sujet für die Oper.
Anders als Puccinis zweifellos berühmtere „Manon Lescaut“ ist Massenets Komposition gelöster, verletzlicher, flüchtiger. Ein durchgängiges, immer wiederkehrendes „Manon-Thema“, wie man es von Puccini kennt, fehlt dem Werk Massenets. Es ist eine Konversationsoper, in der es immer wieder Brüche in den melodischen Linien gibt, kleinteilige, bisweilen düstere Sequenzen, die nur über wenige Sekunden entflammen, und jede Menge stimmliche Herausforderungen für die Solisten.
Mit der Partitur kommt das Sinfonieorchester Aachen unter dem leichthändigen Dirigat von Chanmin Chung in exzellenter Weise zurecht. Der szenischen Umsetzung des Stoffs kann man dies allerdings nicht ohne weiteres attestieren. Die baskische Regisseurin Lucía Astigarraga, die sich bereits bei der Inszenierung der „Carmen“ am Theater Aachen große Spiel- und Gestaltungsräume bei der Weiterentwicklung der zugrunde liegenden Handlung eingeräumt hat, verortet das Geschehen zu großen Teilen in eine zeitgenössische Filmszenerie, wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Im ersten Akt entsteht allerdings ein durch das Filmset selbst hervorgerufenes ziemliches Durcheinander auf der Bühne von Raumgestalterin Aida Guardia, das dem Zuschauer eine Orientierung und eine Identifizierung der einzelnen Charaktere nicht unbedingt erleichtert. Zudem geht der Idee im Laufe des Abends etwas die Puste aus und so entstehen insbesondere während des dritten und vierten Aktes Längen, die die Geduld der Betrachter zeitweise ein wenig auf die Probe stellen.
Wäre da nicht Suzanne Jerosme, deren hinreißende Stimme mit herkunftsbedingt viel französischem Esprit bezaubert, verzaubert und von der man sich bereitwillig dazu verführen lässt, einfach nur einmal zu lauschen. Scheinbar anstrengungslos erreicht sie große Höhen ohne Hang zum Übertreiben. Divenhafte Attituden scheinen ihr fremd zu sein.
Stimmlich überzeugen können auch die übrigen Akteure aus dem Solistenensemble. Yu Shao ist ein exquisiter Des Grieux. Als windiger Cousin Lescaut agiert Ronan Collett in stimmlich und mimisch überzeugender Weise. Opernchor und Extrachor wurden von Jori Klomp in bekannt zuverlässiger Weise auf ihren wirkungsvollen Einsatz vorbereitet und auch die kreativen Kostüme von Eva Butzkies hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Fazit: Das Hörenswerte der Inszenierung dominiert gegenüber dem Sehenswerten, in der Summe ist ein Opernbesuch auf jeden Fall zu empfehlen. (Ulrich Herzog)
„Manon“
Bühne, Theater Aachen
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