Sie machen uns zum Voyeur, zum stillen Beobachter, der sich ein Gefüge von außen anschauen und privat doch nicht entfliehen kann. Denn jeder hat sie: Eine Familie, ein Konstrukt, das mit eigenen Regeln funktioniert, in dem jeder seine Rolle hat, ob er sie nun will oder nicht.
Nis-Momme Stockmann gehört inzwischen zu den bedeutendsten Theaterautoren der jüngeren Generation. In der Kammer des Theater Aachen kommt nun sein Stück „Das Imperium des Schönen“ in der Inszenierung von Moritz Peters auf die Bühne. Im Mittelpunkt stehen die Brüder Falk und Matze mit ihren jeweiligen Partnerinnen, die gerade in Japan angekommen sind und die dort den Clash der Kulturen – innerhalb der eigenen Familie – erleben. Ein Kammerspiel, eine sehr deutsche Geschichte vor der Folie einer fremden Kultur, wie Dramaturg Reinar Ortmann betont. Zudem sei es ein Stück, das sehr stark über den Dialog funktioniere und darüber Macht und Dominanz aufzeige. Der Regisseur Moritz Peters betont, es seien hier schon die ganz genauen Nuancen, die kleinen Halbsätze, die eine große Bedeutung entwickeln. Stockmanns Werk habe durchaus witzige Momente und sei auf Pointen geschrieben, mache aber auch nachdenklich. Dabei bleibt lange unklar, wo das eigentliche Problem liegt, wenn sich der Streit von Falk (Thomas Hamm) und Maja (Tina Schorcht) immer weiter aufbauscht und auf eine Ohrfeige hinsteuert. Beiden fehle die Fähigkeit „jemanden sein zu lassen“. Und so gibt es keinen klaren Schuldigen oder Bösen, sondern es ist das Konstrukt innerhalb einer Familie, das jeden zum Mitwirker und Mitverantwortlichen macht.
Auf der Bühne des Theater Aachen steht im September ebenfalls ein Stück über eine Familie auf dem Plan. Wobei man hier eher von einem ganzen Epos mit großer Ensemblebesetzung sprechen muss. Martin Schulze (Regie) und Inge Zeppenfeld (Dramaturgie) nehmen sich dem Roman „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck an und zeigen in einer Fassung von Ulrike Syha nicht nur den Teil der Geschichte, den man aus dem Hollywood-Blockbuster mit James Dean kennt, sondern die gesamte Familiensaga über drei Generationen. Im Mittelpunkt die noch immer aktuelle Frage: Wie sehr beeinflusst die Familie die Entwicklung eines Menschen? Und in welche Richtung geht diese Beeinflussung – zum Guten oder zum Bösen? Zeppenfeld selbst kam die Idee Steinbecks Klassiker auf die Bühne zu bringen: „Der Stoff ist ganz einfach toll, er spiegelt so viel wider. Und wenn wir schon ein Epos auf die Bühne bringen, dann richtig und vollständig.“ Die biblische Erzählung von Kain und seinem Bruder Abel stand Pate für diese dramatische Familiengeschichte. Steinbeck übertrug das alttestamentarische Gleichnis auf die Konflikte einer amerikanischen Familie über drei Generationen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Zeppenfeld und Schulze wiederum machen es zeitlos. „Es ist ein Sozialdrama, das sich in jeder Zeit und an jedem Ort abspielen kann“, so Schulze. Und genau das macht den Reiz aus. Beim Inszenieren und Zuschauen. Ein großes Stück für die große Bühne mit Video-Installation und Musik von Schauspielmusiker Malcom Kemp.
Und so unterschiedlich „Jenseits von Eden“ und „Das Imperium des Schönen“ in ihrer Form, Darstellungsweise und Struktur sind, lassen sie den Zuschauer einen tiefen Blick hineinwerfen in den Mikrokosmos Familie. Ein Thema, das niemals aus der Mode kommt. Und deshalb schon immer den Nerv der Zeit und das Interesse der Zuschauer getroffen hat. Ob als Kammerspiel, großes Schauspiel oder beides, ist Ihnen überlassen. /Kira Wirtz
16., 23. +27.9.
„Das Imperium des Schönen“
20 Uhr, Kammer, Theater Aachen
ab 24.9.
„Jenseits von Eden“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
www.theateraachen.de
Spielplan
Im September startet die Spielzeit 2022/23 am Theater Aachen. Vor jedem Stück, ob Schauspiel oder Musiktheater, wird es wieder eine halbstündige Einführung geben. Hier die Premieren des Theater Aachen:
ab 11.9.
„Der Alpenkönig und Menschenfeind“
18 Uhr, Bühne
ab 16.9.
„Das Imperium des Schönen“
20 Uhr, Kammer
ab 22.9.
„Die Freiheit der Frau“
20 Uhr, Mörgens
ab 24.9.
„Jenseits von Eden“
19.30 Uhr, Bühne
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