Bilder bewegen, lassen uns Dinge immer wieder sehen. Bewegte Bilder sind in Youtube-Zeiten gang und gäbe. Doch was ist es, was wir sehen? Sehen wir alle das Gleiche oder nehmen wir unterschiedliche Dinge wahr? Genau darum und um noch einiges mehr geht es in „Ich, Wunderwerk und How Much I love Disturbing Content“. Die junge Autorin Amanda Lasker-Berlin hat einen dichten Theatertext über technisch reproduzierte Bilder der Gewalt und die Gewalt der Bilder geschrieben. Welche Eindrücke werden erzeugt und wie beeinflussen sie die Wahrnehmung auf die Welt? Das bringen Dramaturg Reinar Ortmann und Regisseurin Marlene Anna Schäfer jetzt auf die Bühne der Kammer im Theater Aachen. Die Kammer wurde als ideale Spielstätte erkoren, da das Stück mit seinem ganz eigenen Charakter einen geschlossenen Raum benötigt. „Wie durch einen Nebel sieht der Zuschauer die Ich-Erzähler, die eigentlich reine Textflächen sind. Sie berichten, was sie in Videos sehen. Die Videos selbst sehen wir nicht“, erklärt Schäfer. Bedeutet: Eine Frau fasst Videoclips, die sie sieht, in Worte: den Fall George Floyd. Ein Video, in dem ein Schwarzer von weißen Polizisten gejagt, zu Boden gedrückt und getötet wird. Ein anderes Ich beschreibt ein privates Weihnachtsfilmchen, auf dem ein kleines Mädchen den Blicken erwachsener Männer ausgesetzt ist. Wieso hasst sie bis heute Weihnachten und weiße Strumpfhosen? Eines erinnert sich an die Kindheit in Gladbeck und besucht den Ort im Viertel, in dem das „Geiseldrama von Gladbeck“ seinen Anfang nahm, und seitdem die Erinnerung des Ichs kontaminiert. Ein Ich will die Geschichte einer Freundin erzählen, aber darf man Bilder und Erinnerungen benutzen, die einem nicht gehören? „Automatisch wird durch die Erzählungen ein innerer Film vor den Augen der Besucher ablaufen“, so Ortmann. Und das in allen Altersstufen. „Amanda Lasker-Berlin hat einen wunderbaren Text geschrieben, voll mit lyrischen Momenten, die jeden ansprechen. Ob man das Video, über das gesprochen wird, nun kennt oder nicht, ist vollkommen egal.“ Es geht darum, einen Blick unter die Lupe zu nehmen, das Geschehene zu sezieren, die Einzelteile mosaikartig zusammenzusetzen und daraus ein Bild – oder den eben genannten inneren Film – aus Eindrücken, Erinnerungen und Gedanken zu erschaffen. Auf der Bühne ergibt sich ein Panoramablick auf viele einzelne Aspekte. Es wird mal durchs Mikro gesprochen, mal ohne. Dann reden alle gleichzeitig. „Das erzeugt eine unglaubliche Brisanz und macht es so lebendig“, verspricht Schäfer. „Es gibt auch Dialoge, die sich in etwas anderes verwandeln. Aber es ist nie einfach nur eine Nacherzählung einer Geschichte.“ Unterstützt wird die Verzahnung des Stoffes mit dem Spiel von Schärfe und Unschärfe. „Wir können durch das Einsetzen von Nebel auf der Bühne und auch die Nutzung von Live-Übertragung via Kamera mehrere Ebenen erschaffen und für ein Gefühl von Nähe und Distanz sorgen. Das wird also ein durch und durch erfahrbarer Abend.“ Am Ende des Abends wird man sich fragen: Was habe ich gesehen? Was ist wahr und was Einbildung? Welche Macht haben Bilder auf mich und wie kann ich ihnen widerstehen. \ kira wirtz
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