Die Schriftstellerin Juli Zeh schwimmt auf einer unfassbaren Erfolgswelle. Aber die Kritik an ihrem Werk wächst auch: Schludrig, nicht immer faktengenau und vor allem mit politisch schwarz-weißer Denkart gestrickt sei auch ihr neuester – in Co-Autorenschaft mit Simon Urban entstandener – WhatsApp/E-Mail-Roman „Zwischen Welten“.
Der erste Roman der gebürtigen Bonnerin wurde durchaus mit viel Lob bedacht. Zu dem 2001 erschienenen Erstling „Adler und Engel“ war in den Feuilletons zu lesen von „unverzierter, nur den Aussagen dienender Sprache“, „einer gelungenen Mischung aus Drogenthriller, Kapitalismuskritik und Initiationsgeschichte“.
Die folgenden Romane „Spieltrieb“ und „Schilf“ wurden bereits teils kritisch beäugt – was Zehs Erfolg jedoch keinerlei Abbruch tat: Ihre Bücher wurden in 35 Sprachen übersetzt. Sie wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Carl-Amery-Literaturpreis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Hildegard-von-Bingen-Preis sowie 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz. Ein Widerspruch?
Nach dem Riesenerfolg von „Unter Leuten“ setzte eine Wende in der Bewertung durch die Literaturkritik ein. Das Buch hinterließ trotz Pageturner-Qualitäten des Plots bereits einen leicht schalen Beigeschmack. Doch noch funktionierte die Handlung: Ossis gegen Wessis, Landflucht, Ehekrisen, Windparkbefürworter und -gegner. In der Provinz war was los.
Bereits der fünf Jahre später erschienene Roman „Über Menschen“ (2021) offenbarte jedoch das sich wiederholende Zeh’sche Erzählmuster: Die Protagonistin aus der hippen Berliner Werbeagentur, genervt von coronabedingten Isolationsquerelen und dem mit Fridays for Future sympathisierenden Freund, begeht Stadtflucht und landet in einem brandenburgischen Dorf. Hier werden alle Stereotypen bedient – der verquere Alt-Nazi, das vernachlässigte Kind, das schwule Paar aus der Blumenhandlung nebenan und die eigene Scholle (Garten). Nicht zu vergessen, der Hund. Fazit: Eine Städterin verliert ihren Hochmut gegenüber der Landbevölkerung, auch wenn das AFD-Getöse, das Corona-Leugnen hier zum guten Ton gehören mag. Schwamm drüber.
Warum es einer Co-Autorenschaft mit dem Schriftsteller, Journalisten und Werbetexter Simon Urban bedarf, wird in Juli Zehs neuestem Roman „Zwischen Welten“ nicht ganz klar. Zu eindeutig bekannt ist ihre stilistische Handschrift und das Sujet des Romans, der früher als ‚Briefroman‘ bezeichnet worden wäre. Heuer geht die Kommunikation zwischen den Figuren Theresa und Stefan via WhatsApp und Emails.
Die Schriftstellerin Juli Zeh ist als Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewiss bestens informiert über die Entwicklung einer Gesellschaft, der sich manchmal auch mit Paragrafen beikommen lässt. Aber warum verkommen Fragen der Zeit in ihren Büchern stets zu bloßen, klischeebeladenen Handlungssträngen?
„Wir sind besorgt über den Zustand der Debattenkultur in Deutschland, wo man sich fragen muss, ob man überhaupt noch von einer Debattenkultur sprechen kann“, sagt Simon Urban in einem Interview mit dem NDR. „Oder ob es nicht längst eine Unkultur ist.“ Ein guter Gedanke, der im neuesten Roman aber einen eher platten Widerhall in den beiden gegensätzlichen Protagonisten findet: Die brandenburgische Ökobäuerin und der stellvertretende Chefredakteur eines Hamburger Wochenmagazins („DER BOTE“) kennen sich vom Studium. Die gemeinsame Liebe zur Literatur Martin Walsers hat sie damals verbunden. Jetzt ist eine Entfremdung da, und der Roman schildert in abwechselnden Positionen Urbans und Zehs die kontroversen weltanschaulichen Ansichten der beiden Romanfiguren. Da bleibt kein aktuelles Thema unerwähnt: Shitstorms, Cancel-Culture, Klimakrise, Krieg und Gender. Um möglichst nah am Puls der Zeit zu sein, konstruiert Zeh etwas bemüht eine wenig überzeugende Situation. Denn: Welche Motivation sollten zwei Menschen haben, sich seitenlang zu schreiben, die sich so voneinander entfernt haben?
Auch die Satiriker haben jüngst Juli Zeh als geeignetes Objekt für sich entdeckt: So berichtet die „Titanic“ in der März-Ausgabe von den „nächsten Zeh-Bestsellern: ,In Häusern‘, ,An Spiegeln‘ oder ,Hinter Autos‘“… Bei letzterem hätte man sich vorzustellen: „ein unfreiwilliger Zusammenprall der extrem ängstlichen Lastenradfahrerin Barbara mit dem patenten Hummer-2-Eigentümer Sören“…
Auf den Punkt bringt es Ende Januar der Literaturkritiker Dirk Knipphals in der „taz“: „In einem Interview in der NZZ hat Juli Zeh ihre eigene Lesart so formuliert: ‚Mit dem neuen Buch treten wir für eine Differenzierung ein, für perspektivische Vielfalt, für Pluralismus, für die Ambivalenz und Vielschichtigkeit der Literatur.‘ Darauf kann man nach der Lektüre nur antworten: Nein, das tut ihr eben nicht, das behauptet ihr nur.“
Info
Neben ihren Romanen „Adler und Engel“, „Spieltrieb“, „Schilf“, „Nullzeit“, „Corpus Delicti. Ein Prozess“, „Leere Herzen“, „Neujahr“, „Unter Leuten“, „Über Menschen“ und „Zwischen Welten“ hat Juli Zeh auch eine Reihe an Kinder-, Hunde-, Pferde- und Sachbüchern sowie Essaybänden veröffentlicht.
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